Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte

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Der ander Sendbrief an die Christen zu Eßlingen

16. Oktober 1526
Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 5 (Leipzig: Heinsius, 1934) (Corpus Reformatorum 92)


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Der ander sendbrieff Huldrich Zwinglis.
an die Christen zuo Eßlingen, darinn vil
christenlicher leren und ermanungen begryffen
werdenn.
Allen Christglöbigen der kirchen zuo Eßlingenn
embüdt Huldrich Zwinglin gnad und fryd
von gott.
Liebsten in gott brueder, als ich in vergangnem julio einen sendbrieff
überschickt und der im druck außgangen, habent etlich, als ich
vernim, offentlich dörffen sagen, ich habe in nie gesehen, den ich
aber mit der hand, wie auch yetz disen, geschriben hab. Darumb ich
üwer lieb wyderum zuo versichren gereytzt wyrd, das die epistel zuo
üch von mir komen ist. Ich hab sy getruckt verlesen und erken sy
min sein; wol ist min sprach in üwer verwandlet; dann sy och in
üwer ardt getruckt ist. Es verfarend auch etwan die trucker,
eintweders mit versomnus oder mit unverstand; doch ist hierinn
nichts versumpt, das den syn übel verendere. Aber die dyse
epistel da angreiffent, das sy nit min sei, gebend wol zuo verston, das
sy darwider nichs vermögend, das in yer begriffen ist. Dann was
ligt daran, wer sy joch geschriben hat, so sy nichts den die klar
warheit ist? Sölt's nit eim andren als wol zimmen, in der kirchen
zuo reden, als denen oder mir? Wo wär dan der sytzenden (das ist:
gemeinen volcks) urtel und gwalt ze reden, von denen Paulus
1. Cor. 14. redt? [cf. 1. Cor. 14. 30]. Ja, es will leider darzuo kommen,

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lieben brueder, das nit alein der bäpstler, sonder auch die dem euangelio
anhangen, wöllen gsehen sein den dyenern des worts (ich gschweig der
sitzenden ietz) in der kirchen ze reden abschlahend, wölchs doch ein
grosse ursach zuo zwitracht gybt, und herwyderum alle leren beweren
und demnach das war und gerecht annemen [cf. 1. Thess. 5. 21] grossen
fryden macht. Ich will offentlich mit üch, wie sy zimpt, reden. Es
habendt sich etlich prediger in anfang deß spans vom sacrament des
lychnams und bluots Christi gar frech herfürgeton unnd leiplich fleisch
und bluot da sein erobren mögen beruempt, darum daß treffenliche menner
uff ir syten stonden. Da nun got, der her, auch dieselben hat lassen
blintzen, damit si nit in iren hertzen wurdint sagen: "min weißheit
hat das gethon, und min kluogheit hat dyß warheit uff die ban bracht"
(dan es sich ie nun finden will, das dero fyl syind, die inen
selbs ze vil zuogebend, und wil's ier yeder gar geton haben), unnd
gott ja diß warheit durch kleine und schlechte herfür bracht so starck,
häll und gantz, daß die hohen mit gottes wort und der warheit darwider
nichs vermögend, so kerend sy sich dahin, da sich der bapst und
alles fleisch ye und ye kert hat: sy schriend: "kätzer, schwermer,
buoben" etc. wuester weder bapst ye geton hab, man sölle die leer
nun nit hören, kerend sich auch zuom gwalt, zuo dem sich der bapst
kert, es sölle die oberkeit mit allem gwalt weren. Was ist das? Ist
unser meinung so offentlich falsch, was bedarff es verbietens? Habent
dann die glöbigen in den stetten und landen kein urteil? Wo ist
denn, das der geistlich ermißt oder urteilt alle ding? [cf. 1. Cor. 2. 15].
Habent sy aber urteil, warumb last man sy dann nit lesen, das durch
trüwe diener deß euangelii herfürgetragen wiert? Und ist es falsch, so
wiert es dester ee verworffen. Kurtz, lieben brueder, man soll deß
allerkleinste wort in der kirchen nit verachten, sunder hören und
urteilen; das gebürt ruow und friden. Nemend ein beyspil, wo es üch

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nit ergern will, ab unserer kirchen; in dero wollen wier deß wydertauffs
nit, wöllent auch den kinden als denen, die nichs weniger in
gottes bund stond weder wier, denselben keinswegs abschlahen.
Hiewyder habend sich etlich träffenlich erbömt und gschryfften lassen
ußgon; da hat sich unser kirch also gehalten: Ire gschrifft und all
gschrifften last man noch hütigs tags feil haben; ir leer hat man wol
syben mal mit offnen, freyen gesprächen überwunden; das hat den
wydertouff nidergelegt und den kindertouff geschirmt und ruow gemacht;
sunst hettind wir ruow nimmerme mögen überkomen. Also
sind die ein ursach deß zwytrachts, die das sy sehend die warheit
sein und darwyder nit mögend, mit häßlichem gschray verungnadent,
darum das sy sich erstlich ze vil unwyßlich verwatten habent. Dan
wo man in den kirchen die spänn, die in gottes wort sind, frey verhört
und ermißt, da verlast gott sein kirchen nit; dan er ist nit ein
gott deß zwytrachts, sunder deß frydens und einikeit [cf. 1. Cor. 14. 33],
und wiert da ein yede kirch die warheit erkennen und annemen. Das
wöllen die bäpstler nit verston noch zuolassen; dann wo man also wirt
mitt gottes wort umgon, da mögen sy es nummen in yerem gwalt
haben und verston gebieten, wie sy wöllent, sunder das urteil wirt by
der kirchen ston, und volgend inen die schwermer noch, die fleisch und
bluot Christi im nachtmal leiplich essen wöllend, und scheltent aber
sy alle menschen der schwermeri. Dann sehent, lieben brueder, wie
sy fluchten suochent; so wir sprechend: "wir habent einen globen mit
üch, namlich das vertruwen in den tod des hern Jhesu Christi, und
das ist sin fleisch essen unnd trincken sin bluot", sprechent sy: "ja, es
ist aber noch ein anders essen sines fleisch, das ißt man ouch leiplichgeystlich";
und so wir sagen: "das fleisch leyplich ze essen ist nit nütz"
[Joh. 6. 63], sprechend sy: "ja, es gat geistlich zuo, und du verstast's
nit, bist unglöbig, ein schwermer, gleißner, uffruorer". Und so wir
sagend: "hat denn Christus zwen leyb gehabt: einnen leyplichen und
einen geistlichen?", so schryend sy: "schwermer, schwermer! wir essend
den lychnam Christi, den wesenlichen, geistlich". Sprechen wir: "das
tuond auch wir, so wir vertruwend uff synen todt", so sprechend sy

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aber: "es ist nit gnuog, man muos in auch leyplich, wesenlich, fleischlich
essen, doch geystlich". Antwurtend wir: "so werind also zwey
geystliche essen deß leychnams Christi: eins, da man uff in vertruwt,
das ander, da man sein fleisch leiplich-geystlich ässe?", und muotend
inen zuo, das sy zweyerley geystlichen essen gschrifft darbringindt,
dann so wuetend s'; dan sy vermögend's nit und stond nackend.
Nun sehend zuo,wölche töpelind oder schwermind! Wier redend mit
gottes wort, das Christum essen sey in in vertruwen Io. 6. [cf.
[Joh. 6. 35 ff.]. Leiplich esse in nieman; dann von synem leyplichen
leib hat er geredt: "mich werdent ir nit alweg haben" [Matth. 26. 11],
und: "wyderumb verlaß ich die welt und gang zuom vatter" etc. [Joh.
16. 16]; so finden dise ein gedicht und sagent von leiplichem-geistlichem
essen, gleich als da einer von einem hültzin schüreysen
seyt, unnd kündend aber kein gottes wort darum zeygen, noch
das gott dem leyplichen essen einigerley zuogesagt hab. O wie gern
wöltind sy das 6. cap. Johannis wyder daher biegen; aber es ist
geton, dan sy habend langest veriehen, das daselbst nichts vom
leiplichen essen gehandlet werd, und habend recht veriehen. Secht
zuo, wölche under uns schwermer syind: wier, die so einen hällen
verstand vom geystlichen essen mit gottes wort daarbringend und
den vom leyplichen essen hyndan tuond; oder sy, die einen verstand
mit worten malent, der aber in keinem gmuet uff erden nie verstanden
ist noch gelaubt, sonder ist allein ein dicht der worten. Den lychnam
Christi leiplich-geistlich essen - verston ich das wort schwermen
recht, so schwermen die, die in eim ding wuetend, das sy nit verston
und nichs deß weniger alle menschen überreden wöllend, sy verstandint's
selbs wol, aber ander verstandind's nitt. Als iener trugner
tet, der den junkhern fürgab, er het inen ir kirchen gemalt, aber
wölcher nit ein eekind wär, möcht's nit sehen; woltend die junkhern

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eekind sin und verjahend, wie sy das gemäld sähint. Also gschicht
hie: wenn die hohen lerer also heryn böldrend und sprechend: der das
nit glaub, der sey kein Christ und sey ein schwermer, so will ein yeder
es nit sein, sunder ein finer, feirtäglicher Christ sein etc. So vil von
dem beyspil, damit ich üwer lieb hab wöllen zuo verston geben, daß
kein artickel so schwär noch ungehört ist, man soll in lassen für die
kirchen kommen und die nach gnuogsamen verhören lassen annemen
oder verlassen unnd sy nit zwingen. So nun die, so min epistel verwerffen
drumb, daß sy nit min sey, ye einnen andren verachtend, der sy sölt
gesant haben, ist es ein zeychen, daß sy dem urteil der kirchen, auch
den schlechten in der kirchen, nit losen wöllend.
Demnach, lieben brueder, laßt uns gott nimmer türer versuocht
werden, weder wir tragen mögend, sunder zeygt uns allweg eynen
außgang [cf. 1. Cor. 10. 13]. Also tuot er yetz in der gegenwürtigen
türckischen anfechtung, die er allenn Christen zuo guotem laßt
hereinfallen; dan er alle ding zuo guotem verwendet [cf. Röm. 8. 28].
Wir habend gesehen die großen practigen, die von den bischoffen
und allem bapstum wyder gottes wort gebraucht sind, indem das sy
die wyderwertigen fürsten und kintlichen darwyder verhetzt habend mit
yrem gelt. Nun kumpt gott mit der ruoten synes zorns, wie Isaias
von Assur sagt [cf. Jes. 10. 5], so stond alle fürsten und hern erschrocken;
dann zuom ersten schröckt sy ir consciens, zuom andren
scham (dan sy wol dencken mögen, das mencklich denckt; synd
ietz als keck als über die puren, ob in glich nieman nütz sagen
darff), zuom dritten ir armuot; sy habend keyne schätz zemen gelegt,
haben's auch nit wol mügen tuon; dann sy habend die bischoff, äpt
und gantzes bapstum, alles, das gelt machen mag, an sich lassen ziehen,

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darzuo die monopolos, die einigkeuffer. Jüngst haben sy überals die
überblybnen puren also ersogen und erermt, das sy auch nichts habent
ze stüren. Sy habend auch die stett so kintlich gehalten, das sy (ob
sy gleych reicher wärind, weder sy sind) uffsehen habend uff ir hab.
Nun will gott inen und uns ze hilff kummen, ob es inen gleich etlichen
nit lieb wär, unnd zeygt mit der not uff das bapstum, sam er sprech:
"Ey, ir toren, habend ir nit allweg von den schätzen der kyrchen gehört
die betlenden pfaffen, man mög die gueter an sölche not verwenden?"
Sehent ir nit in minem wort, das ich in 10 jaren so starck
und gwaltig herfürtragen hab, das üch zimpt, sölche gueter anzegryffen,
und inen nit zimpt, sy ze haben zuo sölchem muotwillen?
Nement und versehend alle bischoff, äpt, thuomstifften, clöster und
was dergleichen ist, das die personen ir leben lang versehen syind, und
nemend ir die gantzen überig hab zuo gemeiner hand, uff sölche wer
und brauch; dann so der Türck so fer herein ist, wirt es nit in
einem jar auß sin; ob es aber schon auß wär, soll doch sölch guot zuo
gemeinem nutz der armen landleüten, nit zuo muotwillen verbrucht
werden, und hat man in die ewikeit ein fürsorg und vorbuw wyder
den und ander fäl; denn wo man 's nit also angryft, so ist es alles
ummb; denn es ist nienen kein hab noch macht, die solchs ertragen
mög. Aber hie ist so vil reychtung und gueter, das man zemen
bringen wurt me dan hundertmal hundert guldn.
Darumb, lieben brueder, gottes wort gat im truebsal uff; so verwegend
üch, vil muedy und arbeit zuo erleyden; aber es wirt üch
alles zuo guottem mitwürcken [cf. Röm. 8. 28]. Deßhalb ist üch not, das
ir einen getrüwen prediger und seelsorger habint; nement ein beyspil

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ab Straßburg, Ulm, Nürmberg, Augspurg, Costentz, Nörlingen
und andern frey- und reychstetten, wie das wort bey inen
zuonimpt, und errett sy gott für und für uß allem ufsatz. Dann es
ist ye in gevär nnd truebsal nichts trostlichers dan gottes wort, und
herwiderum nichts verfuerischer dan das geytzwort; dan dyß sicht allein
uff sinen nutz und laßt umb deßwillen alle ding undergon. Aber gots
wort sicht uff den gemeinen nutz, macht vertröst und manlich in gott,
lert guot ratschleg, kurtz, ist unverzagt, stat auff eim felsen, was auß
gottes wort erbauwen ist, und mag im kein unwetter nit schaden [cf.
Matth. 7. 24f.]. Hierum, lieben brueder, bittent got on underlaß [cf.
1. Thess. 5. 17], das er üwer oberkeit erleücht, das sie üch umb ein getrüenn,
christmeßigen verkinder deß evangelii sehind. Demnach, wie
auch sanct Paulus zuom Timotheo lert [cf. 1. Tim. 2. 1f.], werbend
vor gott engstlich mit andechtigem, hertzlichem gebät, das er unsere
fürsten und obren in synem heilsamenn wort vereinen wölle; dann
einikeit und friden wirt an keim ort baß gebuen weder in gottes
wort; darinn lert mann got fürchten, sines willens faaren und nüt
wyder den ratschlahen; und denn werdend ir fröd deß sigs erleben.
Sunst ist es nüt den forcht und mißtru. Alldieweil die
bäpstischen pfaffen ir geblerr ußrichtend und wöllend vil gelts mit
geylen zamenbringen, damit ier hab nit angriffen werd, und sudlen
das volck hin und wider mit härinem gwand, barfuoß und meßhalten;
weicht der Türck nit, dann man mag so vil nit mer auß dem armen
volck erschinden, das zuo sölchen kosten gnuog sei. Darzuo, wie wirt

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ein fürst dem andern, ein volck dem andern, ein stat der andren trülich
zuospringen, so sich ein yeder vor dem andren, so ver er uff die wolfart
kem, fürchten muoß? Ja, einer kätzert den anderen und tröwt im.
Wer wirt nun dem tröwenden fynd helffen? Darum ist es erstlich
not ein sicher fryde, der gottes wort fry laß, und demnach, das man
den treffenlichen hauffen der geystlichen angryfe und den zuo heyl und
bewarung Cristenvolcks strecke, so mögend sy denn nit me uffsatz
thuon, zemen schießen noch practick machen. Denn wirt gott in
nutz aller sach sin und zuo loblichem end fueren. Got sy mit üch allen
und beware üch! Amen. Was ich üch gedienen kan, bin ich allweg
der üwer.
Geben zuo Zürch 16. tags octobers 1526.
Uwer allzeyt williger
Huldrych Zwinglin.
Fabers unerbere gschrifft hab ich vor gschefften noch nit verlesen;
wil's, ob gott wil, bald für mich nemenn und antwurt geben.