Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte

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Zwinglis Entwurf für Berchtold Hallers Schlußansprache

25. oder 26. Januar 1528
Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 6.1 (Zürich: Berichthaus, 1961) (Corpus Reformatorum 93.1)


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[Entwurf für Berchtold Hallers Schlußansprache.]
De moderatione et suavitate satis dictum est.
Post exordium narra, quibus causis omnes adducti simus ad
prędicandum paulo diligentius euangelium, quam hactenus prędicatum
sit; non enim esse curiositatem.
Prima, quod per dei bonitatem viderimus rem nostrę religionis
longe aliter habere, quam vulgo docerent pontificii.
Secunda, quod viderimus externis cerimoniis, venalibus meritis
et simulata sanctitate factum esse, ut ferme omnes religionem omnem
conculcaverimus et ad vitiorum castra defecerimus. Unde nobis
vehemens ira dei expectanda sit, nisi resipiscamus etc.
Hortari ergo nos omnes mortales ad pietatem primum. Deinde
verbi ministros, ut in hoc sint, quo veritas et pietas magis ac magis
adolescant.
Intentanda eis divini iudicii damnationem, si quo pacto negligentiores
fuerint. Et quid dominus sit his ministris comminatus, qui
desideant cum ębriosis et comministros suos vapulent.
Brevem hanc esse vitam, sed ęternam, quę sequitur. Allaborandum
ergo, ut hanc foelices, non miseri agamus.
Sanguinem enim pereuntium de manu nostra requiri [cf.
Ezech. 3. 18].
Postremo vestro omnium nomine orabis, ut boni et ęqui consulant
omnia, vos enim omnia indubie boni consulturos. Gratiam dei
cum omnibus vobis.
Quod si omnino voles, ipse has vices geram; sed pręstat te facere
mea sententia, nisi Oecolampadius aliud moneat.
[fol.234v] Beschluß Herr Berchtolden Hallers.
Ersamen frommen Christen!
Alsdann wir erfordret sind von unseren gnädigen Herren einer
statt Bern, rechung aller mencklich hie in offner disputation zuo geben,
die geschrifft ze hören und mit hilff und gnad gottes erkunden, ob doch
wir der selben, die dann von gott und die selbs göttlich warheyt,
allein gemäß und einhäl geprediget haben. Welches nun durch die
fürgetragenen zächen schlußreden nach aller länge und des handels

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notturfft beschächen, in hoffnung, es werde sich by allen christenlichen
hertzen, so der warheyt mit gelaßnem gemuet begirig, erfinden,
das wir nit uß hochgeblaßner fürwitz, als ob wir für ander gelert
etwas nüws, der eer gottes widrig und göttlichem wort ungemäß zuo
unserm nutz und eigner eer söliche warheyt zuo predigen verursachet
syend, sonder allein die eer gottes und heyl aller frommen glöubigen,
besunders einer loblichen statt und landtschafft von Bern zuo fürdren.
Ouch ermässen das schwär gefarlich ampt, darumb wir gegen gott
einer grossen rechnung erfordret werden, sind wir genöttiget, also
trungenlich und ernstlich, mit fuogen und unfuogen, mit rüche und
sänfftmuetigkeyt das euangelium Jesu Christi, nach dem wir von gott
begnadet, harfürzetragen. Und namlich zuo dem ersten, das wir uß
grosser erbärmd und gnad gottes erfunden haben christenliche religion,
zucht, glouben und läben, vil anders nach dem wort gottes
gestaltet, dann bißhar von römischer kilchen, bäpstlichem gwalt und
regiment, von allem verwäntem geystlichem stand gelert und geprediget
ist in der gemeynd dermassen, das wir nit allein von christenlicher
warer frommkeyt und gottsäligkeyt abgefallen in alle laster,
sunder mit menschen botten, satzungen und guotduncken, ouch verwänten
gottsdiensten, ceremonien, verdiensten mit gelt köufflich für
läbendig und todt, sölicher maß verstrickt, verwirt, beladen unnd in
ein ellende veraltete gewonheyt gebracht, das das läbendig, ewig,
warhafftig wort gottes under uns Christen als frömbd und unbekant,
ja irrig und verfuerisch in anfang by manchem geachtet ist worden.
Ouch hiemit alle gottsforcht unnd ware unschuld des läbens nach den
botten und verbotten gottes von jungen und alten gar nüt geachtet.
Hierumb wir billicher urteyl gottes, grosser erschrockenlicher straff
wol wirdig. Diewyl aber gott das liecht in aller unser blintheyt, die
warheyt in mitten unser schwären irthumb, die gnad inmitten unser
boßheyt und abfal, als ein getrüwer, langmuetiger, barmhertziger gott
unnd vater gesendt hatt, gebürt unns söliche gnad nit ußzuoschlachen
mit undanckbarkeyt, sonder mit grossem ernst anzuonämen, nit allein
mit refor-[fol. 235r]mation der verwänten gottsdiensten, weliches
dann üch günstigen, wysen herren gebürt nach dem exempel Ezechie,
Jehu und Josie, und geheyß gottes zun Römern 13, sonder mit

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besserung und ernüwerung unsers läbens, damit dasselbig rechtgeschaffen
und mit gott von uns volbracht werde, als dem volck gottes
und waren Christen gebürt. Dann das wirdt vor gott niemant entschuldigen,
wo man nit nach erkandter warheyt läbt und handlet.
Dann so wir das thür wort gottes und euangelium Jesu Christi
horten und nit darnach unser laeben, thuon und lassen richteten, wurde
es uns allein verkündt zuo einer zügnus unser billichen verdamnus.
Demnach, fürgeliebten brueder, pfarrer, seelsorger und predicanten,
und alle, die sich des wort gottes zuo predigen in unser gnädigen herren
land und gebiet underziechen, ich bitt unnd erman üch umb des namen
willen unsers herren Jesu Christi, ir wellend bedencken üwer ampt
und beruoff und acht haben uf üch selbs unnd uff die gantze herd, under
welche üch gesatzt hat der heylig geyst zuo bischoffen, das ist ze
getrüwen wächtern und dienern im wort gottes, zuo weyden die gemeind
gottes, weliche er durch sin eigen bluot erworben hat [Apg. 20.28],
und sy trüwlich leren und fueren den wäg gottes unnd dem herren
bereytten ein gerüst volck und das predigen mit forcht gottes, das
Christus sinen jüngeren befolchen hat zuo predigen, im zügnus zuo
geben, das Christus Jesus unser einig houpt und heyland für uns gestorben
und sinem himmelschen vatter ufgeopffret am krütz und
erobret alle, die im vertrüwen und sich sinen allein halten, förchten
und lieben, das ewig läben. Und das wir darby jünger Christi erkendt
werden, so wir einandren lieb haben, wie Christus uns hat lieb gehabt,
darin stadt das gesatz und propheten [cf. Joh. 13.34f.], der recht
war gottesdienst und eere. Wellend ouch das volck gottes witter nit
beladen mit eigennützigen burdinen menschlicher satzung, sunder in
gottes wort trüwlich vorgan und mit unsträfflichem läben nach der
leer Petri ein fürbild der herd sin [1. Petr. 5.3], so werden ir, wann
erschinen wirt der ertzhirt, die unverwäsenliche kron empfachen.
Fassend zuo hertzen, das gott redt Ezechielis 3 [Ezech. 3. 17,18]: "O
menschensun, ich hab' dich dem huß Israhel zuo einem wächter bestelt
und was du uss minem mund hörst, mit dem solt du sy von minen
wägen warnen. Wenn ich zuo dem gottlosen sprich: ,Du muost deß todts
sterben' und du in nit warnest, das du es im sagest und in vor sinem
gottlosen wäsen warnest, damit du in by läben behaltest, so wirt der
gottlos in siner eignen missethat sterben, sin bluot aber wird ich vonn
diner hand erfordren." Das sind thüre wort gottes, deren wellen üch

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vil erinneren und nit farlässig, liederlich oder verruochtsam üwers
ampts pflägen, ouch nit wynsüchtig, hädrig, schandtlichs gewuns
begirig, sonder gottsförchtig, züchtig [vgl. 1. Tim. 3.2f.] und leerhafft
sin, frue und spat mit ernstlichem [fol. 235v] gebätt göttlicher schrifft
obligen und die ware wyßheyt unnd verstand göttlichs worts von gott
bitten und erwarten, damit ir erfunden werden getrüw arbeytter in
dem wyngarten des herren; dann der herr spricht Luce 12 [Lk. 12.
42-46]: "Wie ein groß ding ist umb ein getrüwen und fürsichtigen
hußhalter, den sin herr setzt über sin gesind, das er inen zuo rechter zyt
ir spyß gebe. Sälig ist der knecht, welichen sin herr findt also thuon,
wenn er kumpt. Warlich, sag ich, er wirt in über alle sine gueter setzen.
So aber derselbig knecht in sinem hertzen sagen wirt: Min herr verzücht
zekommen, und facht an zuo schlachen die knecht und dienst,
ouch ze essen und zuo trincken und sich vollsuffen, so wirt der herr desselbigen
knechts kommen an dem tag, da er sich nit versicht, und zuo
der stund, die er nit weißt, und wirt in zerschmättern und wirt im sin
lon geben mit den unglöubigen." Hie hören, ir lieben brueder und seelsorger,
ir sind [diejenigen], die der herr hat gesatzt über sin gesind,
das ir im die war spyß, das göttlich wort, den schatz nüws und alts
[Matth. 13.52], harfürtragen zuo siner zyt. Sälig werden ir sin, so üch
der herr wirt finden also thuon, ja er wirt üch über alle sine guetter
setzen. So aber ir untrüwlich dem gesind gottes vorstand und die
schaeffly gottes, die ir weyden solten, scherend und beschwärend, mit
den truncknen truncken sind, mit den huoreren louffen und also muotwillen
mit dem gesind gottes, so sind gwüß, das der herr, so ir üch
sinen zum allerminsten versächen, kommen wirt und üch zeboden
richten, zerschmätteren und üweren lon geben mit den unglöubigen.
Das fassen zuo hertzen; dann gott üch nit umbsunst so getrüwlich
warnet. In summa: Suochend die eer gottes und das heyl üwer schäfflin
und thuond das uss liebe, die da gadt von reynem hertzen, guoter
gewüßne und von ungefärwtem glouben [1. Tim. 1.5], so werden ir
einen gnädigen gott erfaren. Hiemit bitten wir alle die, so disputiert
haben und die schrifft harfür getragen uff dem gegenteyl, wellend in
keinen wäg an uns zürnen, so wir inen mit ruchen worten begegnet
wären; dann sölichs ane alle bitterkeyt beschächen sin, bezügen
wir an gott, den gerechten richter. Und ermanen sy und all fromm
Christen, wellen gott dem künig der ewigkeyt, dem unvergänglichen,

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unsichtbaren und allein wysen [1. Tim. 1.17], die er in ewigkeyt
geben, und sich Christo Jesu unserem einigen houpt, trost und heyland
mit gelaßner demuot und warem glouben underwörfen, sinem
wort, des sich sin heylige gespons [vgl. Off. 21.9] und kilch allein haltet,
gehorsamen und glychförmig machen mit leer und läben, damit
sin namen in uns verlestret, sonders in eewigkeyt geheyliget, gepryßt
unnd gelobt werde. Hiemit sye die gnad unsers herren Jesu
Christi, die liebe gottes und gemeinschaft des heyligen geysts mit uns
allen. Amen [2. Kor. 13.13].