Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte

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Vorrede zur Prophetenbibel

1. März 1529
Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 6.2 (Zürich: Berichthaus, 1968) (Corpus Reformatorum 93.2)


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Ein vorred in die propheten
Gnad, barmhertzigkeyt unnd frid vonn gott, unserem vatter, durch
Christum Jesum, unseren herren [cf. Röm. 1.7; 1. Tim. 1.2; 2. Tim.
1.2 u.ö.], wünschend unnd begärend wir, die diener des Euangelii
in der statt Zürich, allen rechtgloeubigen und frommen.
Nachdem und wir yetz etliche jar die buecher des Alten Testaments,
mit trüw und flyß die spraachen gegeneinander erwägende,
offentlich geläsen habend, sind wir von vilen frommen guothertzigen
hoch angestrengt unnd gebätten, das wir unsere tütsche vertolmetschung
in die propheten (dann die allermeest begäret wurdend von
mengklichem) inn truck ußgon liessind. Söliches zuo thuon (wiewol es
unns schwär unnd groß was), habend wir naach langer bitt bewilliget.
Einsteyls, das wir die ernstliche bitt der gloeubigen vermeintend nitt
billich sin abzeschlahen [cf. J. Sir. 4.4]. Andersteyls, daß wir das
pfündlin, vonn unserem herren gott unns verlyhen, nitt untrüwlich
vergruebind [cf. Matth. 25.18], sonder die gaaben demm zuo eeren, der
sy unns geben hatt, unnd zuo nutz der gantzen kilchen Christi bruchtind.
Dann obglych vormaals ein vertolmetschung der propheten ußgangen,
ward doch dieselbe vonn vilen einvaltigen unnd guothertzigen

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(als von den widertoeufferen ußgangen) nit wenig geschücht, wiewol dieselbe,
so vil wir darinn geläsen, an vil orten flyssig unnd getrüwlich
naach dem ebreischen buochstaben vertütscht ist. Wäm wolt aber
nit schühen und grusen ab der vertolmetschung, die von denen ußgangen
ist, die die rechten rädlyfuerer warend der säckten unnd rotten,
die unns uff den hüttigen tag in der kilchen gottes mee unruow gestattet,
dann das bapstuomb ye gethon hatt? Under wölicher säckt etlich
Christum Jhesum waaren gott sin gethörend verneynen, etlich
den tüfel unnd die gottlosen sälig sprechen, dargegen die, die nun
ein wenig lachtend, der verdamnuß zuoeignen. Die leerend einer oberkeyt
nitt gehorsam sin unnd die werck dermaaß wider ynfuerend,
daß man ann irer leer spüret, daß Christus by inenn nitt vil giltet,
die die gröste glychßnery wider ufrichtend unnd in falschem schyn

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der frommkeyt inen selbs für alle gfallend. Wär wolt jaa sölichen
getrüwen, daß sy die ort in den propheten, die vonn Christo, dem
behalter der welt [cf. Kol. 1.17], waarem menschen unnd gott, lutend
unnd gewyssaget sind, getrüwlich handletend, so Christus vonn
inenn gott sin unnd für aller menschen sünd gnuoggethon unnd bezalt
haben, verneynt wirdt?
Unnd ob yemand spreche, die propheten syend vor vil jaren vertütschet,
antwurtend wir: Es ist jaa, wir verachtend ouch nyemans
vertolmetschung. So vil aber die art der spraach unnd kommliche
der red, ouch verstand der sinnen antrifft, mag nieman verneynen,
offt nit gnuog tieff hinyngesähen sin. Wär ist aber so umbsichtig,
so geleert und bericht, der nitt etwo zuo zyten blintze, übersähe
und fäle? Diewyl doch ouch die prophecy etwo fäl und mangel
haben mag [cf. 1. Kor. 11.18], wie möchte dann in der tolmetschung
nitt mangel zuolouffen? Es sind die gaaben des geystes manigfalt unnd
underscheyden [cf. 1. Kor. 12.4-6], unnd wie ein stern den anderen in
klarheyt, also übertrifft ouch in der kilchen Christi eyner den anderen
in verstand unnd wüssen, in erkanntnuß unnd urteyl. Dises reden wir
nitt, das wir unns darfür schetzind, das wir yeman überträffind oder
das wir yeman wöllind verachten, sonder vil mee abzuoleynen etlicher
ungunst unnd nachred, die nüt guot unnd recht achtend, dann das vonn
inenn geschicht; unnd so ein ding von inenn nit anfencklich uff d'ban
braacht ist, vermeynend sy, es sölle vonn nyeman angenommen
werden. Wölicher hochmuot unnd zanck uss wolgefallen syn selbs,
anfechtung des fleysches unnd uppiger eer här wachset. Dann wo wir

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alle in unserem thuon unnd laan mitt einvaltigem oug allein unserem
herrn gott, des diener wir sind, understündind zuo gefallen, syn eer allein
suochtind unnd den nutz des nächsten, nitt unser nutz unnd eer,
wurdend wir keynswägs zürnen unnd für übel ufnemmen, wo ein
andrer ein ding baß unnd klarer härfürbrächt; vil minder wurdend
wir unns in zanck gegen demselben ynlegen, das aber wir vonn vilen
(leyder) uff den hüttigen tag sehend gebrucht werden. Spricht nit
Paulus: So der prophet redt unnd einem andren wirdt ouch vonn
gott geoffenbaret, sölle der erst schwygen [cf. 1. Kor. 14.30] unnd dem
anderen losen? Item die andren, spricht er, söllend urteylen [cf. 1. Kor.
14.29]. Uff söliches tragend wir härfür zuo guotem der kilchen gottes,
das unns in dem verstand der gschrifft vonn gott geoffnet ist. Wöllend
damit nieman sin ding verachten noch schmützen, sonder vil mee
danckend wir denen, lobend sy ouch unnd begärend, das inen gott
allen ire trüwe arbeyt belone unnd vergelte, die bißhär in Latin oder
Tütsch in die propheten geschriben habend; so verr ist's vonn unns,
das wir yeman sin eer verbönnind oder verduncklind oder sin arbeyt
schmähind. Tragend's ouch nit der maaß härfür, das wir die geleerten
und verstendigen mit unser schlächte bemuegen wöllind, sonder das
wir denen, die die geschrifft flyssig erdurend unnd erfüntelend,
ursach gäbind, mer flyß anzewenden. Unnd wo wir uss unwüssenheyt

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(dann der untrüw unnd argliste sind wir unns nit mitwüssend) gefält
oder den sinn nit getroffen hettind, das sy bessers unnd klarers härfürtruegind.
Dann ye so haltet sich unser verstand gegen der geschrifft
wie das oug gegen dem sunnenglantz: Einer hatt scherpffere ougen
dann der ander; keiner aber mag volkommenlich dryn sähen. Nieman
mag die propheten ußlegen unnd verston, er habe dann zum vorlüchter
unnd fuerer den geyst, uss des yngebung die propheten geredt
und geschriben habend. Diser geyst aber, wiewol er ein einiger geyst
ist, oeuget er sich doch unnd zeygt sich in einem klarlicher dann imm
anderen. Der aber, der den geyst klaarer hatt, wirdt den, der inn
dunckler hatt, nit verschupffen; unnd der die höhere klarheyt des
geystes nitt mag erreichen, wirdt dem, der sölichen klaaren unnd
hohen geyst hatt, nitt verbönnen; sonder eyn yeder wirdt, sovil
imm gott verlyhen, getrüwlich in gemeyn legen, das es der gantzen
gemeynd unnd dem gantzen lychnam nutzbar sye [cf. 1. Kor. 12.7].
Die arme wytwen ward nitt verachtet, sonder vonn Christo für
andere gelobt, das sy zwey örtly in den kasten des tempels geleyt
hatt [cf. Mark. 12.42-44; Luk. 21.2-4]. Bringe eyn yeder gewilligklich
unnd getrüwlich, was im gott verlycht, zuo dem buw des tempels gottes
one hochmuot unnd verbunst. Es ist die heylige geschrifft eyn kostbarlicher,
thürer schatz. Der nun eynen schatz uss der erdenn grabt, muoß
sich keyner arbeyt thuren lassenn, unnd so vil silbergruoben sind, in
denen allen man das silber suochet, wirdt doch vonn etlichen vil mee
funden dann vonn den anderenn. Also arbeyte yedermann getrüwlich,
daß das silber der gschrifft vom kaat menschlichs verstands gesüberet
und gelüteret werde [cf. Ps. 66.10; 1. Kor. 3.12], daß die brunnen, von
den Philisteren mit kaat verworffen [cf. 1. Mos. 26.15], wider ufgethon
und erschöpfft werdind. Diewyl nun wir ouch in der zal
deren, die in söliche arbeyt von gott angestelt sind, bringend wir härfür,
was uns gott geben hatt. Die kilchen gottes sye hierüber richter
[cf. 1. Kor. 14.29]. Wo etwas mangels und unsubers noch drinnen wäre,
bittend wir unnd ermanend alle gloeubigen, uns sölichs in bruederlicher

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trüw offenlich oder heimlich anzezeygen. Dann ye nüt des menschen
mee eigen ist dann irren und fälen [cf. Jak. 3.2]. So aber wir in diser
vertolmetschung nit allein in worten, sonder ouch inn sinnen an vil
orten vonn den andren wyt abträttend, hatt uns guot bedunckt, in
diser vorred dem christenlichen läser (so kurtz wir mögend) ursach
anzezeygen.
Es sind gar vil wort by den Ebreern, die, so man sy in tütsch
vertolmetschet, ir krafft unnd ducht, ir liebliche und schöne gar
verlürend oder ye nitt gnuogsam ußtruckend. Uff das nun in sölichem
dem Tütschen nüt manglete unnd der ursprünglichen spraach, in
deren die propheten gschriben, eygenschafft und ard wol harfürbracht
wurde, habend wir zuo zyten, wo es die not erforderet, annstatt des
ebreischen ein anders gschoben, doch ein söliches, das die eigenschafft
des ebreischen eygentlich zuo verston gebe. Etwan habend
wir ein wörtlin, das im ebraischen text nit stadt, hinzuogethon, doch
ein söliches, one wölches zuosatz das Tütsch nitt mocht verstanden
werden. Dasselb zuogesetzt habend wir (wo es ächt nitt vergessen)
mit kleyneren buochstaben, dann sunst der text ist, trucken lassen, das
man sähe, was unser zuosatz sye, das wir nit geachtet wurdind als die,
die das ir für gottes wort woltind underschieben und verkouffen, oder
als die, die gottes wort zuosetzen [cf. 5. Mos. 4.2], enderen oder felschen
[cf. 2. Kor. 4.2] understuendind. Dann diß keyn zuosatz noch felschung
sol noch mag genennt werden. Deß sich dann alle gloeubigen und
rechtverstendigen wol verstond, daß es einem yegklichen rechten tolmetschen
zympt, ja zuogehört, ein spraach also in die andere ze ziehen,
daß mans verston möge, nit das man erst ein andren tolmetschen über
disen haben muesse. Dannenhar die unsers bedunckens wyt irrend, die
so gnouw uff den ebraischen buochstaben das Tütsch verdolmetschend,
das, wölichers lißt, nitt weißt, ob es tütsch oder wälsch ist.
Dann keyn spraach ist uff erden, die, glych wie sy irer art nach lutet, in
ein andre spraach gentzlich unnd fuegklich möge vertolmetschet
werden. Deßhalb dem tolmetschen mee uff den sinn dann uff die wort
ze tringen ist. Deß wöllend wir yetz byspil setzen, mitt denen das,
so wir hie sagend, klar unnd verstendtlich werde; daby wöllend wir
ouch vonn der prophecy unnd ampt des propheten anzeygen. Der tittel
im Esaia ist gemeynlich nach dem ebraischen buochstaben also
vertütscht: "Das ist das gesicht Esaie, des suns Amotz, das er über

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Juda unnd Jerusalem gesähen hat" [Jes.1.1]. Das ist nun naach
dem ebraischen buochstaben recht unnd wol vertütschet. Dann
"hason" heißt den Ebreern ein gsicht. Jetz kumpt aber dem tütschen
läser ein zwyfel des verstands halb, ob man rede vom gesicht
der ougen oder vom gesicht des anblicks oder vom gesicht, das einem
erschynet; dann das wörtly "gsicht" heißt dise ding alle by den Tütschen.
Damit nun aller zwyfel hingenommen wurde, habend wir für
das wörtly "gsicht" prophecy und für das wörtly "gsähen" prophetieren
gsetzt, das aber wir nit gethon hettind, wo das wörtly "gsicht"
by uns Tütschen als wol verstanden wurde als by den Ebreern
"hason". Dann den Ebreern heißt dises wörtly "hason" als vil als
ein erschynung, da eynem in einer offenbarung etwas zuo sähen dargestelt
wirdt. Als do der Jeremias in einer erschynung ein mandelruoten
sach unnd einen südenden hafen [cf. Jer.1.11,13]. Item Petrus
ein lylachen vom himmel kommen voller unreynen thieren [cf.
Apg. 10.11-12]. Darnach heißt "hason" ein innwendige erlüchtung des
gemuets unnd ein klare offenbarung vonn gott one ein usserliche erschynung.
Als do gott dem David yngab, das er zum buw des
tempels holtz unnd anderen züg zuorüsten sölte, 2.Reg.7. Wo nun wir
Tütschen durch dises wörtly "gsicht" dise ding alle, wie die Ebreer
durch ir "hason", verstuendind, so hettend wir ouch "gsicht" vertütscht.
Diewyl aber das wörtly "gsicht" die art, tucht, die volkommne
und gantzen handel der predgenen Esaie nitt gnuogsamlich begryfft
noch ußtruckt, habend wir für "gsicht" diß wörtly "prophecy" gesetzet.
Deßhalb, daß sich dises wörtly "prophecy" wyter streckt unnd
mee begryfft dann das wörtly "gsicht". Dann "prophecy" wirdt zuo
zyten genommen für ein ußlegung des göttlichen worts als in der ersten
epistel zun Corintheren am vierzähenden capitel [cf. 1.Kor.
14.1,3,4]. So man das wort gottes, das durch den geist gottes yngesprochen
ist, flyssig lißt, ußleyt, erkläret und zuo verston gibt, damit
das gemuet des menschen naach gott gestaltet, die sitten und läben
gebesseret werde.

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Zum anderen heißt "prophecy" ein vorsagen künfftiger dingen, als
so die propheten den verkümmerten trost, hilff und heyl vonn gott
verheissend [cf. z.B. Jes.40.1-2], den schälcken aber unnd gottlosen
verderpnuß und ewige straaff troeuwend [cf. z.B. Jes.1.4,24].
Zum dritten heißt "prophetieren" den propheten losen unnd bericht
vonn inen empfahen und dem göttlichen verheissen warnung unnd
troeuwen glouben geben, als in der ersten epistel zun Corinth. am
eylften capitel, Amos 3., Luce am andren capitel [1.Kor.11.2; 14.3;
Am.3.1, 13; Luk.2.25-26, 34-35]. Damit wir nun dise ding alle in einer
summ kurtz zesamen bringind, so ist prophecy oder prophetieren ein
ampt, das göttlich befelch und geheyß mit trüwen unnd rechtem glouben
anzekünden unnd zuo verston ze geben. Wenn wir nun sprechend:
"Dises ist die prophecy Esaie, die er prophetiert unnd verkündt hatt"
[Jes.1.1], ists als vil geredt, als wenn wir sprächend: Dises sind die
predgenen, wort und der gantz handel des propheten Esaie, mit was
trüwen er über die härd gottes gewachet, wie standhafft und thür
er gewarnet, wie ruch er die laster beschelckt und gestraafft hat.
So wir nun verstond, was prophecy unnd prophetieren ist, mag
lichtlich abgenommen werden, was ein prophet sye. Das man aber
sähe, was hohen ampts der prophet habe, wöllend wir noch wyter vonn
propheten reden. So der prophet das göttlich wort erklärt, künfftige
ding verheyßt oder troewet, muoß er söliches nemmen eintweders uss
göttlichem bericht und offenbarung (es geschähe dann durch ankuchen
unnd ynsprechen des geysts innwendig im gmuet, oder durch
dienst der englen oder durch ein stimm oder durch ein erschynung,
offenbarung und gsicht oder durch einen troum oder durch etwas vormaalens)
oder aber uss rechtem, gründtlichem verstand des göttlichen
worts unnd gesatztes. Dann wölicher gottes wort recht verstadt,
der mag gar lichtlich den frävlen und widerspennigen vorsagen,
was übels unnd straaff inen begägnen werde, den frommen gotsförchtigen,
was guots unnd lons sy warten sygind. Es muoß aber in disen
dingen allen das gemuet des propheten ein gewüssen, styffen, ungezwyfleten
glouben haben, das sölicher bericht, erschynung, ynsprechen,

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troum unnd gsatzt allein vonn gott sye, das er sich trostlich
unnd on allen zwyfel druf verlasse und haffte. Setz, es rede ein engel
mit einem menschen, so laßt sich der mensch nitt dran, er wüsse dann
eigentlich und ungezwyflet, das es gottes stimm sye. Setz, das einer
das ganntz gesatzt gottes usswendig könne unnd (als man spricht)
frässen habe, ist er nitt innwendig durch den geyst gottes erlüchtet
und gwüsß gemacht, daß das gesatz gottes wort und ein anzeyg sines
willens sye. Item, ist er nit damit innwendig durch denselben geyst
angezündt, hitzig unnd ynbrünstig gemachet, dem gsatzt unnd willen
gottes naachzuokommen, wirdt er sich niemarmee wider die überträtter
des gsatztes stellen, in kein gfaar wirdt er sich umb gottes
willen niena geben, ja glück unnd unglück wirdt er niemarmee weder
gedultig noch frölich ufnemmen und tragen.
Abraham gloubt der stimm, die inn sinen truten und gliepten sun
töden hieß [cf. 1.Mos.22.2], unnd hatt aber er vormaals ein verheyssung
vonn gott empfangen, das in dem sun Isaac syn somen gemeeret
unnd gevilet solte werden [cf. 1.Mos.17.16,19]. Wie mag er nun der
stimm glouben, die inn den töden heyßt, in dem imm synes geschlächts
hoffnung stuond? Das kam dahar, daß er ungezwyflet was, die stimm
wäre gottes stimm unnd geheyß. Wohar kam im aber söliche ungezwyflete
und gewüsse? Uss dem vertruwen unnd glouben, den er zuo
gott hatt [cf. 1.Mos.15.6]. Ist aber styffer und ungezwyfleter gloub
uß menschlicher krafft oder uss göttlicher? Zwaar nit uss menschlicher.
Dann wo das, so wäre nieman, er wölte im glouben unnd vertruwen
Abrahamen überträffen.
Dargegen nimm den Jerobeam. Do im der prophet, der uss befelch
gottes von Juda gen Bethel kam, verkundt, der altar wurde zerspalten
und die äschen dardurchfallen, gloubt ers nit, das es gottes
stimm und warnung wäre [cf. 1.Kön.13.1-4]. Ja ouch do nit, do er
sach, das es geschach, wie der prophet geredt hatt; ja so gar hatt ers
nit für gottes stimm gehept, das er ouch, nachdemm unnd im der arm
erstarret und durch fürbitt des propheten widerbracht ward, die warnung
gottes, sich ze bekeeren, nit erkennen wolt [cf.1.Kön.13.3,33].
Das aber ouch zuo rechter erkantnus und verstand des gsatztes und

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wort gottes die styffe des gloubens erforderet werde, lernend wir uss
den nachgenden byspilen.
Ezechias und Josias, die zween frommen künig, ersuochtend und
durchgründetend das gsatzt gottes flyssig und uss styffem glouben,
namlich also, daß sy ungezwyflet warend, es wäre gottes will unnd
gefallen, was im gesatzt geschriben stuond [cf.2.Kön.18.5-6; 22.12-13]. Sy
warend ouch innwendig angezündt, hitzig und ynbrünstig, alles das
ze handthaben, ze halten und ze fürderen, das er gebotten, und dannen
zethuon, was gott verbotten hatt. Wo sy sölichen styffen und ungezwyfleten
glouben uff gottes wort, ouch liebe darzuo, nit gehept, hettend
sy gethon glych wie andere pfaffen, gschrifftgelerten und glychßner,
die sich des verstands gottes gsatzts hoch ruomptend, sy trungend aber
nit uff rechte unschuld und frommkeit des läbens, sonder vermeintend,
es wäre gnuog, daß sy gschwind, sueß und kluog vom gesatzt schwätzelen
köndend [cf. Matth.23.2-3]. Warumb aber? Do prast inen die gwüsse
des gloubens. Dise künig aber erwuogend sich unnd kartend allen müglichen
flyß an, das alle menschen nach dem gsatz gotts läbtind, daß
es von mengklichen gehalten wurde, daß alles, so darwider oder darnebend
ufgerichtet, abgethon unnd gestraafft wurde [cf. 2.Chr.29-31;
2.Kön.23].
Ein ander byspil: Johannes der Toeuffer, als er sach, daß der
gottloß künig synes bruoders wyb widers gsatzt gottes by im hatt,
gieng er uss styffem, ungezwyfleten glouben (den er uff das gsatzt
gottes hatt) zuo im und sagt im, es wäre wider gottes gsatzt, das er
sines bruoders gemahel hette [cf. Matth.14.3-4; Mark.6.18]. Sehends die
anderen pfaffen und gschrifftgelerten nit ouch? Ja. Wie dann, das
nieman uss inenn allen inn gethorst straaffen? Es hatt nieman so
vil gottsforcht in sinem hertzen, das er ein sölich schühen und mißfal
ab einer so schantlichen thatt hette, das er sölichem laster als ein
ehrine mur [cf. Jer.1.18] widerston wölte. Es lieffend vor zyten die
falschen propheten und verkundtend yederman friden und wolstand
[cf. Jer.23.17], aber nit uss rechtem glouben und vertruwen uff gott,
ja vil mee one gheyß und befelch gottes stiessend sy sich selbs in
sölichs ampt [cf. Jer.23.21]. Nun sind aber wir alle also gesinnet,
das wir gern von friden und wolstand sagen hörend unnd vermeynend,

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wär uns friden ankünde, der sye von gott gesandt (so doch Christus,
ein fürst des fridens [cf. Jes. 9.5], spricht, er sye nit kommen, friden,
sonder ein schwärt ze senden [cf. Matth. 10.34]. Es ist ouch zweyerlei
friden, einer, der mit gott beston mag, das ander ist der welt friden.
Wär aber mit der welt friden hatt, der muoß mit gott uneins syn).
Und dahär kams, daß die falschen propheten (diewyl sy sagtend, das
man gern hort) geehret und hochgehalten, die waren aber und rechten
propheten durächtet und getödet wurdend [cf. Matth. 23.24-25]. Das
torecht volck nam nit war, daß gott ein anders vor im hatt. Wo aber
die prophete gottsforcht und styffen glouben gehept, hettend sy in
dem göttlichen gsatz wol funden, was sy soltend geprediget haben.
Dann dwyl sy sahend, daß des jüdischen volcks läben gottloß, muotwillig,
fräfel und uff das höchst in allen lastren zerstört was, soltend
sy nit friden, sonder das schwärdt, hunger, tod und derglychen
straaffen dem volck verkündt haben [cf. Off. 6.3-8]. Das sind aber
die leerer, die Paulus ufgeblasen nent, die sich by den Corinthern
für geleert ußgabend, den aber, der so unverschampt offenlich sündet,
nit straafftend [cf. 1. Kor. 5.1-2]. Warum? Sy woltend nieman erzürnen,
deß sy geniessen mochtend. Hettend sy rechte trüw gehept und
styffen glouben, so hettend sy vil ee die menschen dann gott wöllen
erzürnen. Sölicher propheten, predicanten unnd bischoff (bsorgend
wir) finde man uff den hüttigen tag vil mee, dan guot ist, die ouch in
grossen stetten und fürstenhöfen das evangelium Christi, des
gekrützgeten [cf. 1. Kor. 1.23; 2.2], (doch one krüz) predgend. Sy sind
sueß und wol beschwätzt, könnend kluog von gottes wort reden, aber
anzegryffen und ze beschälten den gyt und wuocher, den fräflen
gwalt des muotwilligen adels und des üppigen gwalts, kriegen, pensionen
nemmen, bluotvergiessen, verradten, gricht unnd recht felschen,
falsche müntz, falsch gwicht und waag, die eigenkoeuff und gselschafften
zuo nachteyl dem gmeynen mann - söliche laster ja ze beschälten,

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sind sy stummende hünd [Jes. 56.10]. Was ist die ursach?
Daß sy irem herren gott nit getrüw sind; sind buchprediger und fyend
(als Paulus sy nennt) des krützes Christi [Phil. 3.18-19]; sy sind nit
als geflissen uff frommkeyt unnd unschuld des volcks, als daß sy
für geleert gehalten unnd groß geachtet werdind. Wenn es aber also
zuogon sölte, daß man dem volck nüt sölte sagen, dann das es gern
horte, dörffte man keines propheten in der gemeind gottes; man
stalte nit mee dann ein lutenschlaher oder sackpfyffer dar; den horte
yederman gern [cf. Jes. Sir. 40.21] und thätte nieman wee. Aber gott
hatt sine propheten und apostlen saltz genennt [Matth. 5.13], daß sy
räsß sygind, die laster hinzebyssen unnd vor den künfftigen zuo vergoumen.
Er hatt sy ein liecht genennt [Matth. 5.14], daß sy denen,
die im huß gottes wonend, zündind unnd lüchtind. Er hatt sy gesetzet
über die völcker unnd künigrych, das sy abbrechind, zerrissind unnd
ußrütind, was wider gott sich ufrichtet; wider ufbuwind, pflantzind
unnd uffnind [cf. Jer. 1.10], was gott haben wil: Frommkeyt, unschuldt,
trüw, liebe, das billich unnd recht under den menschen. Wo
dises saltz nit ist, da fulet es täglich; wo dises liecht nitt lüchtet, da
wachsend grusame finsternuß. Wo dise trüwe hirten nitt sind, ryßt der
wolff unnd zerstroeuwet die härd gottes [cf. Apg. 20.29].
In disem sähend wir nun die vätterliche trüw unnd sorg gottes,
die er zuo menschlichem gschlecht treyt, das er vonn anfang der welt
ye unnd ye warner unnd vermaner geschickt hatt [cf. Hebr. 1.1], die
das volck vonn lastren zugind unnd zuo frommkeyt, trüw unnd waarheyt
reytztind. Ja ouch by den heyden habend sy söliche menner
gehept, die uss trüw in den gemeinden thüre reden thättend, daß

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das volck vor lastren vergoumet unnd zuo tugenden gezogen wurde.
Deren vil by den Griechen unnd Rhömern, so man die historien
lißt, funden werdend. Also gar wil gott nit, das yeman irrgange, das
er den glast synes liechts, das ist, syner waarheyt, ouch by den
heiden hatt lassen härfürschynen. Allermeest aber by synem, das ist
by jüdischem volck, denen hatt er für unnd für propheten, das ist
warner unnd straaffer, geben, bis yetz in den letsten zyten, so sy umb
der höchsten sünd willen vonn gott verschupfft sind. Es ist ye und ye
also gsin, das, so offt die menschen sich gantz und gar in laster,
schalckheyt und allen muotwill versenckt unnd vertiefft, habend sy
ouch darby allweg fromm sin gesähen wöllen werden, habend das,
das sy unrecht unnd übel gethon, mitt glychßnery wöllen guot unnd
gerecht machen. Unnd das habend sy mit zweyen dingen understanden,
namlich mitt falscher gotteseer unnd mit gschickter unnd
kluoger red. In denen zwey dingen habend sy vermeynt, ir glychßnery
möge beston. Mitt falscher, erdichteter gotteseer unnd frommkeyt
habend sy wöllen vor yedermann als die frommen, rechten gottesdiener
erschynen und als die, die gott lieb habind, förchtind unnd vor
ougen habind. Mitt dem suessen, lieplichen unnd zierlichen geschwätz
habend sy sich für geleert vor dem gemeinen mann verkoufft. Disen
zweyen schädlichen lastren hatt gott entgegengesetzt ware unnd
rechte gotteseer unnd gotteschuld unnd rechte kunst und wolberedte.
Das ist so vil geredt: Gott hat uss siner guete allweg menner uferweckt
und angerichtet, die waren glouben unnd gottesforcht in iren hertzen
und rechte kunst unnd leer und dapffere red in irem mund hettind,
die lichtlich die glychßnery möchtind erkennen und zue schanden
bringen. Dann falscher gloub mag vor dem waren sich nitt verbergen;
das üppig gschwätz mag vor denen, die mit gottes wort unnd geyst
recht beredt sind, nit beston. Zuo sölichem hat nun gott sine propheten
angereyßt und gesendt, daß sy allen falsch und glychßnery endacktind
und härfürzugind und mit den lastren ein ewigen stryt fuortind.
So vil vom prophetenampt.
Diß sye nun ein byspil, warumb sich zimme dem tolmetschen,
nach gelegenheyt und art der spraach ein wort für das ander ze setzen.

--302--

Jetz wöllend wir ouch kurtz zuo verston geben, wie der tolmetsch zuo
zyten ein wörtly umb klarheyt willen des verstands hinzuo möge
setzen, das aber im text nit stadt, etwa darvonthuon ein wörtly, das
im text stadt. Im ersten capitel Esaie stadt im Ebreischen also:
"Alles houpt ist kranck, alles hertz ist schwach, von fuoßolen an biß
uffs houpt ist kein gsundheytin im" [Jes. 1.5-6]. Diß ist nun gar dunckel,
deßhalb wir zuo klarerem verstand etwas geänderet und hinzuogethon
habend, one wöliches der verstand nit klar sin mag. Es beschiltet hie
der herr durch den propheten das jüdisch volck, das in grundboden
vom höchsten biß uff den nidersten prästhafft, ja gar verderbt was.
Und das thuot nun der prophet mit einer gar schönen glychnuß eines
lybs, der von der fuoßsolen an biß obenuß gantz kranck und verwundt
ist. Verstadt bym houpt die künig, propheten und allen obren gwalt,
bym lyb die gemeind, byn fuessen die allerminsten. Damit nun sölichs
wol verstanden wurde, habend wir also vertütscht: "Das gantz houpt
ist kranck und das hertz gar trurig; von der solen des fuosses biß uffs
houpt ist nüts gsunds in üwerem gantzen lyb." Sihe, hie habend wir,
die glychnus zuo verston, "in üwerem gantzen lyb" hinzuogethon, da
der Ebreer spricht: "in im".
Im end des ersten capitels Esaie stadt im Ebreischen also: "Und
als ein garten, in demm die wasser nit in imm" [Jes. 1.30]. Diß ist nun
by inenn nach irer spraach, art unnd eygenschafft schön, hüpsch unnd
verstendtlich; aber so es ins Tütsch kumpt, ist es ungewon, unlieplich
unnd unverstendtlich. Deßhalb hatt unns gezimpt, dasselb also
ze vertolmetschen: "Als ein gart, der kein füchte hatt." Hie habend
wir etliche wort ußgelassen, etliche hinzuogethan. "In im" habend wir
ußgelassen, deßhalb das es in unserer spraach nit von nöten, ouch den
sinn unverstäntlich macht. "Hat" habend wir hinzuogethan, das aber
die Ebreer nit habend. Dann on diss wörtlin "hatt" wäre es uns row
und gantz frömbd. So vil aber den sinn antrifft, habend wir nüt
geändert.
Im andern capitel Esaie stat im Ebreischen also: "O huß
Jaacob, woluff, lassend uns gon in dem liecht des herren" [Jes. 2.5].
Habend wir zuo klärerem verstand hinzuogethan: "Dir rueff ich", o huß
Jaacob. Dann der prophet wendt hie sin red schnäll ab den heyden,
von denen er vormals geredt, uff die Juden, denen er zuoschryet, und

--303--

beschiltet sy ruch, doch vätterlich, ruefft inen zuo der grossen säligkeyt
und zuo dem grossen liecht, vermanet sy, darinnen ze wandlenn. Diser
schnäll absprung von den heyden uff die Judenn hat by den
Ebreern keyn sonderbar ußgetruckt zeychen; deßhalb habend wir
diss "Dir rueff ich hie" hinzuogesetzt, das der sinn yederman verstäntlich
sye. Derglychen habend auch wir an andren vil orten, wo es not
was, gethan: Etwan die personen, wo es der sinn erfordert, geändert,
das nun gmeyn inn propheten ist. Dann wir ye vermeynend,
es ghöre einem getrüwen tolmetschen zuo, den sinn wol harfürzebringen
und alle ding klaar und verstäntlich ze machen. Mag er das
also zewägen bringen, das er inn worten nüt ändern darf, sonder die
wort fallend glych von einer spraach in die andre gschickt und fueglich,
das ist ein grosser vorteyl. Wo aber die wort sich sperrend unnd
sich in ein andre spraach mit sölcher liepliche und fründtliche, die
sy in irer spraach habend, nit zwingen lassend, so gehört es dem tolmetschen
zuo, das er mitt fuoglichenn wortenn den sinn der worten härfürbringe.
Dann ye so wäre das unfry und ungeschickt, also hart
uff den worten hangen, das man den sinn darnäben verlure oder gar
nit verstuende.
Also bald härnach im andern capitel staat im Ebreischen also:
"Gang in einen felßen und verbirg dich vor der vorcht des herren"
etc. [Jes. 2.10.]. Hie habend wir für das wörtlin "Gang" vertütscht:
"Heb dich schnäll." Dann der ernst des propheten und der sach erforderts,
und ist vil lieplicher, so ich sprich: "Und darumm heb dich
schnäll", dann so ich schlächt spräche: "Gang in einen felßenn."
Darumb haben wir dise wörtlin: "Und darumm", item: "schnäll" hinzuogethan,
die dem sinn ein liecht und klarheyt gäbind.
Item do der Ebreer spricht: "Vor der vorcht des herren", habend
wir vertütscht: "Vor dem erschrockenlichen richter", das wörtlin "herr"
in "richter" verkerende. Dann der prophet redt hie von der straaff
und raach gottes, die über die gottloßen kommen werde. Nun ist diser
nammen "richter" by den Tütschen vil erschrockenlicher dann "herr",
und werdend doch beyde nammen alleyn von gott verstanden. Uß
dem wörtlin "vorcht" habend wir "erschrockenlich" gemacht, das es
in tütsch baß lutet. Item glych bald darnach staat also: "Der die

--304--

ougen der hochvertigen niderschlecht, die höhy des manns nidret,
und wirt der herr allein erhöcht am selben tag" [Jes. 2.11]. Da habend
wir für das wörtlin "herr" diss wörtlin "er" gemacht, dann es glych
vil gilt by den Ebreer an disem und vil andren orten, das sy die
relativa, die wideräfrenden wörtlin, bruchend für die eygnen nammen.
Als so ich sprich: "Der herr gott ist alleyn wyß, und im
gehört alleyn alle ehr zuo." Hie merckt ein yeder, das diß wörtlin "im"
nieman bedütt dann den, von dem man erst geredt hat, namlich den
herren got, und ist aber vil lieplicher, ouch kürtzer, dann so ich
spräche: "Der herr ist allein wyß, und dem herren gehört allein alle
ehr zuo", unnd ist aber der sinn allenthalben glych; die wort aber sind
in der einen red lieplicher und kürtzer dann in der anderen.
Im eylfften capitel Zacharie staat im Ebreischen also: "Das
zerbrochen wurde der pund, den ich mit allen völckern gmacht hat"
[Sach. 11.10]. Hie habend wir für das wörtlin "völcker" dis wörtlin
"stemmen" gesetzt. Dann (unsers bedunckens) redt der prophet hie
nit von dem pund, den gott mit den heyden, sondern von dem, den
er mit den stemmen Israels gemacht hatt.
Item glych darnach staat also: "Ist es guot in üweren ougen, so
gebend mir minen lon" [Sach. 11.12]. Da habend wir vertütscht:
"Dunckt es üch guot", oder: "Gfalt es üch." Dann obschon die Ebreer
also redend: "Ist es guot in üweren ougen", so ist doch sölliche red by
den Tütschen ungewon und ungehört. Dises alles habend wir mitt
so vil byspilen wöllen anzoeugen, das niemand vermeyne on ursach uns
von der alten interpretation abgetretten sin. Dann wir keyn wort
zuogethan, gemindret [cf. 5. Mos. 4.2] oder geändret habend, des wir
nitt uß grund des gloubens und der geschrifft ursach geben möchtind.
Dises aber alles wirdt ein verständiger, gloeubiger, gottsvörchtiger

--305--

läser, der das alt Tütsch mit dem unsern verglychen wirt, lichtlich
merken und verstaan. Der puncten, pasuken und anders, so die
rabi der Juden hynzuogethon, habend wir kleyn acht. Dann sölcher
zuosatz erst in kurtzen jaren beschehen ist; deßhalb er dem verstand
und wäsen der worten keyn vorgericht bringen soll.
Von den allegorien, das ist anderverständigen reden, deren alle
prophetenn voll sind, hat uns guot beducht, den läser zuo vermanen und
ze warnen. Dann vil sind, die gar ungeschicklich darinn farend.
Etlich machend uß einem yeden ding ein allegory nach irem lust und
willen. Dem muoß das kripfflin, daryn Christus geleyt, die kilchen
heyssen, die windlen, daryn er gewickelt [cf. Luk. 2.7], die heylige
geschrifft bedüten. Dem muessend die himmel im achtesten Psalmen
[cf. Ps. 8.2] die apostlen sin. So doch David nüt anders dann uß
btrachtung der himlischen und irdischen gschöpfften sin gmuet zuo lob
unnd dancksagung gottes am selben ort reytzt und erhebt. Damit
schlahen wir nit ab, das "himmel" zuo zyten in der gschrifft für hohe,
erlüchtete unnd geystryche mönschen genommen werdind; an disem
ort aber verneynend wir's. Dann David wil also sagen: Ach herr, wie
ist din krafft, gwalt und macht so wunderbar groß uff dem gantzen
erdbodenn; jaa din lob, herligkeyt und eer reycht biß an den himmel.
(Ist ein überschwanck der red.) So ich mine ougen erheb in die
himmel und da sihe sonn, mon und sternen, jaa so ich alle werck
diner henden besihe und btracht, darnach härab uff erdenn komm, so
find ich, das du über die ding alle den menschen wyt überuß gwirdiget
hast. Was ist's von nöten, hie uß den himmlen heiligen ze machen?
Oder was wirdt man dann uß den ochsen, schaaffen und andren
thieren machen [cf. Ps. 8.9]?
Etlich aber lassend niena keyn allegory noch tropos zuo, sonder verstond

--306--

alles, das die propheten verheyssend, fleyschlich und nach dem
buochstaben, wie ouch die Juden, namlich das sy noch wider in ir
land kommen, das irdisch Jerusalem wider buwen, lypliche fryheyt
wider erlangen söllind, das yedermann uff erden also werde, das keyn
böser mee sye, und derglychen vil torechter dingen.
Diser präst wachßt uß dem, das man nit verstaat, das die propheten
gmeyne, verständtliche reden, von lyblichen dingen abgezogen, bruchend,
unnd aber gar ein höhers und thürers verstaand, denn die wort,
die sy bruchend, des ersten ansehens uff inen tragind. So das etlich
nit waarnemmend oder villicht nitt verstond, leerend sy alle ding dem
buochstaben nach, glych wie die Jüden nur fleyschlich ußlegen unnd
verstan. Welche leer nitt ein kleyne ursach gibt zuo ufruorenn. Dann
was wolte das gmeyn, arm volck anders dann ufruor trachten, das nüt
anders dann fleyschliche fryheyt hört verkündt werden? Deßhalb wir
alle gloeubigen hertzen vermanet haben wöllen, das sy sich sölche
glichßnery und valschen nit verfueren lassind, sunder mit reynem,
luteren oug, mit einfaltigem, ungefelschtem hertzen die propheten
läsind. Da werdend sy finden die guete, barmhertzigkeyt und gnad
gottes über alle, die in liebhabend und förchtend, syn gerechtigkeyt,
zorn und straaff über alle, die mit untrüw von im abtrettend, das
trüw warnen, das er thuot den sünderen, das ruch beschelcken über
die gotlose und alle schalckheyt. Item, das gott in d'harr denen,
die sich nitt besserend unnd bekeerend, nit übersicht, sonder sy ruch
straafft unnd ußrütet, sy sigend heyden oder Juden. Des habend aber
wir byspilen gnuog an Israel unnd Juda, die gott nach so vil siner
guotthath und grosser irer undanckbarkeyt und untrüw, nach aller
getrüwenn warnung der prophetenn, so iro boßheyt ye mee und mee
zuonam, uß dem grund ußgewurtzlet hat und von siner vätterlichen
trüw verschupfft und verstossen. Jedoch umb des säligen, heylsamen
somens willen, der uß inen geboren solte werden, hat gott alweg ein
nachleypscheten von inen überblyben lassen [cf. Jes. 1.9; Röm. 9.29],
mit denen er ouch zuoletst wider begnadet wirdt. Darzwüschen hat

--307--

gott uß sinen gnaden, nit uß unseren verdiensten, das heydnisch volck
anstatt der Juden angnommen [cf.Jes.65.1; Röm.9.25-26] und zuo erben
gmacht [cf. Eph.1.11], von welchem dann die propheten alle vil
sagend. Dannenhär sind so vyl verheyssungenn des lands, des fridens,
aller wunn, froeud unnd glücksäligkeyt dem Israel, Juda, Zion,
Jerusalem zuogesagt und versprochenn, die aber niemand von lyplichen
glücksäligkeyt verstan sol (dann das rych Christi ist nit von
diser welt [cf. Joh.18.36]), sonder durch lybliche ding, die sy als die
wolbekanten den Juden fürtragend, sollend wir froeud, wunn, friden
und ruow der conscientz (die uns durch Christum begegnet sind) verstan.
Durch Judam und Israel sollend wir Christum, deßhalb das
er uß Juda geborn ist, verstan und damitt ouch die, die uß Israel
und Juda in Christum gegloubt habend oder glouben werdend, als
die apostlen und andre. Item ouch die uß den heyden anstat Israels
angenommen, die yetzund das waar Juda, Israel und der saamen
Abrahe sind, als Paulus zun Römern am andren, am vierden und
am nünden capitel garklarlich bezügt [cf.Röm.2.14-15,29; 4.11,16; 9.24].
Item durch Jerusalem und Zion verstond wir die kilchen und volck
Christi durch die gantzen welt hyn, Gal. 4. [cf. Gal.4.26,31]. War
ist's, das vil verheyssungen in den propheten sind, die den Juden
ouch lyplich in irem land begegnet sind, als das sy von Babylon
uß der gefängknuß wider in ir land kommen, den tempel und d'statt
wider gebuwen habend [cf. z.B. Jes.45.13]. Nütdestminder lutend
dieselben wort alweg dermassen, das ein yeder geystlicher mönsch
wol verstath, das die propheten etwas thürers und höhers in den
selbigen lyplichen dingen habend wöllen zuo verstan geben. Jaa, es sind
alweg etliche wort, die (als gwüsse fingerzeyg und zeychen) anzeygend,
das sy nit von lyplichen dingen allein, sonder damit ouch von geistlichen,
ewigen geredt habend. Welche ding die fleyschlichen Juden
nie lyplich erlangt und nümmermee erlangen werdend. Dären aber
etlich zuon zyten Christi und der apostlen in den gloeubigen uß den
Juden und in dem Israel, das uß den heyden beruefft ist, erfüllt
worden sind, etliche zuo siner zyt in begnadigung des überigen jüdischenn
volcks erfüllt sollen werden. Das wir aber des alles ein kleyn
byspil anzoeugind (dann wer möchte sy alle hiehär setzen?), so nemmend
das ort im Haggeo am andern capitel, do gott spricht, die
herrlicheyt des letsten tempels werde vil grösser dann des ersten [cf.
Hag.2.7-9]. Wil man das vom lyplichen tempel verstan, so sind darwider

--308--

die wort, die gott glych darvor also geredt hatt: Wär noch läbt
unnd überbliben ist unnd den vorigen tempel in syner zierd unnd
herrligkeyt gesähen hatt, der muoß sprächen, diser sye nüts gegen dem
vorigen [Hag.2.3]. So hörend wir ye, das gott hie vonn einem anderen
tempel redt dann vonn dem lyplichen, den die Juden und ouch
etlich uss den unseren verston wöllend. Es spricht ouch der herr, er
wölle am selben ort allweg frid schaffen [cf. Hag.2.9]. Wo habend
aber die Juden frid zuo Jerusalem? Item, wo habend die Juden ye
die land unnd völcker inngehept und besässen, die inen die propheten
verheyssend? Das sy aber sagend: Ja, es werde alles noch geschächen,
das sy noch ir irdisch lannd wider ynnemmen, besitzen unnd lyplich
drinn mitt friden herrschen werdend, das ist nüt dann ein fleyschlicher
gedanck und falscher trost, den sy inen selbs fürwendend und sich
betriegend.
Deßhalb (wie wir vor oben angefangen habend) der allegorien,
anagogen, katagogen und derley reden in den propheten wol warzenemmen
ist. Allegory ist ein red, in deren man uns etwas anders
fürtreyt und anzeigen wil, dann die wort lutend und gstaltet sind.
Yedoch so ist die allegorische red allweg dermaß gstaltet, das man
durch sy die warheit glych als ein gstalt in einem spiegelglaaß
[cf.1.Kor.13.12] oder etwas durch ein glaaß sicht. Byspil: Paulus im
buechly der Gschichten, am 20. capitel, spricht zun alten fürgesetzten
in Epheso: "Nun habend acht und flyß uff üch und uff die gantze
härd, über die üch der heylig geyst wächter und ufsäher gesetzt hatt,
zuo weyden die kilchen gottes" [Apg.20.28]. Sähend, dises ist ein
allegory, das ist ein anderverstendige red; dann er nennt hirten unnd
verstadt pfarrer; er nennt härd oder schaaff und verstadt das Christenvolck.
Nütdestminder ist ein wörtly darzuogesetzt, das glych wie
ein kertzen unnd liecht zündet unnd zeyget, das er vonn dem pfarrampt
reden wil, unnd das ist das wörtly: "Habend acht und flyß."
Darnach do er spricht: "Wächter sind ir, zuo weyden die kilchen gottes",
ist ein anderverstendige red. Aber das wörtly "kilchen" gibt zuo verston,
das er nit von schaaffen (wiewol er die nennt) verstadt, sonder
von gloeubigen menschen redt. Johannis am zehenden redt Christus
von dem ampt unnd von der trüw des hirtens und der schaaffen, verstadt

--309--

aber by dem hirten sich selbs, by den schaaffen alle gloeubigen
[cf. Joh.10.2-4,11-14,27-29]. Wie ich's nun hie in disen zweyen gebyspilet
hab, also verstande man's in andren allen.
By dem ist ouch wol ze mercken, das die Ebreer ein wörtly naach
gelegenheyt offt anders unnd anders bruchend. Byspil: Wenn sy
vom tag des herren oder vom letsten tag redend, verstond sy zuo zyten
den tod eines yeden menschen; z%(u zyten verstond sy die zyt der straaff
unnd raach gottes, die gott täglich an uns brucht. Zuo zyten verstond
sy den letsten tag des gemeinen gerichts und urteyl gottes, als so
Christus Johannis am sechßten capitel spricht: "Wölicher erkennt
und sicht den sun unnd in inn gloubt, der wirdt das ewig läben haben,
und ich wil inn am letsten tag uferwecken" [Joh.6.40]. Hie heißt der
letst tag den tod eines yetlichen gloeubigen. Dann Christus verheyßt
hie, er wölle die, die in inn vertruwind, im läben behalten, wölichen
tags sy joch sterbind; als er dann ouch Johannis am fünfften
capitel spricht, daß die, die in inn gloubind, in kein verdamnuß kommind,
sonder sy sygind schon yetz vom tod ins läben gangen [cf.
Joh.5.24]. So Martha sprach, sy gloubte wol, ir bruoder Lazarus
wurde am letsten tag wider uferston [cf. Joh.11.24], verstadt sy den
allerletsten tag unnd das gemeyn uferston. In der ersten epistel zun
Corinthern am dritten capitel spricht Paulus, der tag des herren
werde es wol offenbaren, das im fhür geoffnet werde [cf.1.Kor.3.13],
nimpt er den tag für den truebsal unnd durächtung. Diewyl nun der
tag des herren oder der letst tag alle zyt heyßt, so gott kompt, die
sünd ze straaffen (es sye, so er etliche völcker, land, künigrych oder
menschen sonderlich straafft, oder sye denn, so er die gantze welt mit
einander gmeynlich straaffen wirdt), so werdend die reden in den propheten
vom tag des herren anders und anders verstanden. Also verstande
man ouch von der ufferständtnuß der todten. Etwo heyßt es
das läben nach disem läben, als zun Ebreern am 6.capitel [cf. Hebr.
6.12]. Etwo heyßt's die letste ufferstäntnuß der liben, als 1. Corinth.
am 15. [cf. 1.Kor.15.52-54]. Item ufferstäntnuß des fleischs wirdt offt
gnommen für das gmeyn urteyl aller mönschen, als so Esaias
spricht, alles fleisch werde sähen das heyl gottes [cf. Jes.40.5; 52.10].
Dann ye so nympt das fleysch Christum in disem zyt nitt an; also
heyßt "fleysch" den mönschen. Zuo syten aber heyßt ufferstäntnuß des
fleyschs die ufferstäntnuß der libenn. Deßglichen wirdt ouch dises

--310--

wörtlin "urteyl" anders und anders genommen. Dahär kompt uns nun
der verstand der anagogen und katagogen. Anagoga ist ein uffgezogne
red, als so ich vonn Jerusalem, der irdischen, ein red ynfuer und far
aber in der red yemerdar hinuf uf das himlisch Jerusalem. Dargegen
ist katagoga ein abgezogne oder abstigende red, als do Esaias
vom fal Luciferi redt, der by den Juden verjähen was, und stigt
herab uff den fal des babylonischen küngs [cf. Jes.14.12]. Also
wo man von dem nideren uff das hoch stigt, heyßt's ein anagoga; wo
man aber vom hohen uf das nider härabstigt, ist's ein katagoga. Diser
dingen aber unverstand macht gar vil irriger und ungerympter ußlegungen
der gschrifft, das man nit warnimpt, das die Ebreer gewon
sind (nach irer spraach ardt), yetz uff, yetz nider ze springenn, yetz
von dem gmeynen, yetz von dem sonderbaren ze reden, unnd das
ouch offt in einer eynigen red.
Wyter sol man ouch das mercken, das, wenn man imm nüwen testament
also findet geschriben: "Do ist erfüllt worden, das durch die
propheten gesagt ist" [Matth.1.22 u.ö.], das sölichs in zween wäg mag
verstandenn werden. Erstlich heyßt das die sag der propheten erfült
werden, wenn das gschicht, das sy künfftig sin gewyssagt habend.
Als do Esaias spricht: "Nemmend war, es wirdt ein magd empfahen
und gebären einen sun" [Jes.7.14]. Diss ist nit geschehen zun propheten
zyten, sonder er hat's vor gesagt, das es geschähen wurde.
Gschehen aber ist es, do Maria Christum geboren hat. Darumb
spricht Mattheus: "Das alles ist geschähenn, das erfült wurde, das
von dem herren durch den propheten vor gesagt was" [Matth.1.22];
unnd das heyßt eygentlich die prophecy erfüllt werden. Zum
andern wirdt die prophecy oder geschrifft denn erfüllt, wenn die propheten
oder geschrifft etwas sagend, das zun selben zyten mit der
thaat warlich gschicht und aber naachmals derglychen, doch in ein
andre gestalt, ouch beschicht, also das die thaat, die geschicht, nitt
alleyn ein geschicht ist, sonder das sy über das ouch ein bedütnuß ist
eines dings, das harnaach geschehen sol. Als do gott Israel, sinen

--311--

geliebten sun, uß Egypten gefuert hat, das ist mitt der thaat warlich
beschehenn, als wir habend imm buoch des Ußgangs [cf. 2. Mos.
12.51]. Aber naachmals hat ouch gott Christum, sinen sun, uß
Egypten gfuert [cf. Matth.2.21]. Und darumb spricht Mattheus:
"Das erfüllt wurde, das durch den prophetenn vorgesagt was: Uß
Egyptenland hab ich minen sun berueff" [Matth.2.15]. Hie sähend
wir, was anagoga sye. Der prophet Oseas spricht: "Do Israel noch
jung was, do hat ich yn lieb und ruofft minem sun uß Egyptenland"
[Hos.11.1]. Hie verstaat der prophet das volck Israel, das gott selber
sinen erstgebornen sun nennet, Exodi am 4. [cf. 2.Mos.4.22]. Und
ab dem volck Israel gschicht nun ein uffsprung uff Christum, der
der natürlich sun gotts ist, der ouch uß Egypten wider gfuert ist wie
vor zyten Israel. Also ist die prophecy erfüllt, do das gschach, was
vormaals ouch geschehen was.
Ein anders: Do Jaacob uss Mesopotamia zoch mit zweyen
wybren und grosser haab [cf.1.Mos.31.17-18], ist ein gschächne thaat
und mit demselben ein figur und bedütnuß eins künfftigen, namlich
das Christus im vermächlen wurde die synagog und kilchen uss den
heyden. Darumm spricht Paulus, alle ding syend inen gschähen in
bedütnuß [cf. 1.Kor.10.6,11]. Das ist: Also sind die lyblichen ding
warlich by inen geschähen, daß sy nütdestminder etwas bedütet
habend, das nachmals geschähen solte; und so das geschach, was das
vorig recht und volkommenlich erfüllt.
Darumb, o christenlicher läser (das wir's beschliessind), liß du die
propheten also, das du allweg des worts Pauli yngedenck syest, do
er spricht, alle ding syend inen in einer bedütnuß begägnet, das sy
uns etwas bedütetend [cf. 1.Kor.10.6]. Jaa, gschriben sind sy umm
unsertwillen, die yetz im letsten alter läbend [cf. 1.Kor.10.11], das
wir lartind, got niena erzürnen, frommklich, unschuldigklich unnd
warhafftig läben, dem waaren gott getrüwlich anhangen, den trüwen
vatter lieben und im dancken, der uns uss der zal der kinderen des
zorns [cf. Eph.2.3] zuo synen kinderen angenommen hat, und das
durch sinen geliepten sun Jesum Christum, unseren herren, der uns
von den heyden anstatt sines volcks yngesetzt hatt [cf. Röm.11.17],
das wir sölichen getrüwen gott niena erzürnind. Dann so er der Juden,

--312--

des geliepten volcks, nit verschonet hatt, vil minder wirt er unser
schonen, so wir undanckbar und untrüw sind [cf. Röm.11.21]. Dises
und derglychen söllend wir uss den propheten erlernen. Der allmächtig,
guetig vatter, der unns durch sinen geliepten sun vom tod
zum läben beruefft hatt, der gebe unns sinen geyst, waaren glouben
und liebe, zünde in uns an sin liecht, das wir in dem läsen der geschrifft
nitt irrgangind, sonder in erkantnus und liebe gottes täglich zuonämmind
[cf. Phil.1.9]. Amen.