Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte

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Eine Unterrichtung, wie man sich vor Lügen hüten soll

25. Juni 1524
Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 3 (Leipzig: Heinsius, 1914) (Corpus Reformatorum 90)


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Ein flyssige und kurtze underrichtung,
wie man sich vor lügen
(dero dise zyt, nit vn geverd, voll louffent)
hueten und bewaren sol.
Durch Huldrichen Zwingli 25. tags Iunii 1524.
Allen Christenmenschen sye gnad gottes, vatters und sines
eingebornen suns, unsers lieben herren Jesu Christi zevor.
Frommen, liebe andächtigen brueder! Üch sol nit so ser verwundren,
daß die fyend des götlichen wortes täglich nüw und unzalbarlich
lüg wider es und sine ußkünder erdichtend, sunder frolocken,
das üwre widersecher mitt der warheit nütz vermögend, und deßhalb
sich zuo fablen und lügen keren muessend. Wie solt im der tüfel anderst
tuon? Er sicht das liecht des euangelii wachsen mitt sinem
nachteil; dann wo das liecht schint, da muessend die finsternussen
wychen, und ob sy sich schon lang speren. Noch wil der tüfel nüt
des minder mit sinem mengglen noch etwas understan. Und so
er mit der warheit nütz vermag, kert er sich zuo der lüge; denn er
ist lugenhafft und alle sine geschlecht Jo. 8. [Joh. 8. 44]. Also hatt
er den armen Adam im anfang mit lügen verfuert [cf. 1. Mos. 3. 1-7].
Also hat er über unseren erlöser, den herren Jesum Christum, sine
lüg so manigvalt durch einandren verwicklet, daß ouch die gwaltigen
etlich erdacht kundschafften wider inn ungeschickt beduochtend.
Noch ward der herr mit sölchen künsten getödt. Aber ietz wirt
gesehen, was zuoletst harnach volget: Das, so er wennet überwunden
haben, wirt er überwunden und gefangen; denn so das weitzenkörnlin
erfulet, so bringt es erst vil frucht [cf. Joh. 12. 24]. Darumb nieman
ab lügen bwegt werden sol, ja ouch nit ab durächtung; das götlich

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wort muoß mit sölchem regen und ungewitter übergangen werden,
aber es wachst erst darab; Christus hat es selbs vorgeseit Jo. 16.
[Joh. 16. 33] zuo den jüngeren: Ir werdend angst oder trang in der
welt haben; doch vertruwend, ich hab die welt überwunden. Sölch
stempenien merend die eer des götlichen wortes, des sig so vil des
clärer und grösser wirt, so mee es widerstand hat; dann ie die warheit
all weg überwinden muoß, und die lüge an 'n tag komen. Denn
der die lügen redt (spricht Salomon proverb. 19. [Sprüche Sal. 19. 9]),
der wirt nit endrünnen. Und ob wir glich den triumph mit den
lyblichen ougen nit sehen wurdind, den wir doch täglich an vil orten
sehend, so wirt die eer gottes und unser heil nun des grösser; denn
söliche reiser erfordret got, die in allem truebsal imm biß in 's end
anhangen, und ob sy glych die gantz welt bestan mueßtind und mit
iren kämpffen. Doch wo ein volck widerspänig ist, so ist 's nütz
anders denn der gantz welt widerspan; denn die welt thuot imm
allenthalb glych, lüget, wuetet, tröwt, bocht, schwert, schlecht,
schmächt, tödt, metzget, summa: ist unsinnig und toub. Welche
aber gottes sind, die laßend sich sölche künst nit abfueren von im,
sunder erlernend erst an inen, wie groß die krafft des götlichen wortes
ist, das es die hohen embörungen all weg überwindt. Werdend
ouch hiemit verhuet, daß sy gheinem zeichen nachfragend; dann in en
zeichens gnuog ist, daß sy täglich sehendt, daß es gat, glych wie got
vorgeseit hat. Es m#;oß also zuogon, und ist noch das end nit hie
Luce 21. [Luc. 21. 9]. Aber das wort des herren wirt in die ewigheit
styff bliben [Ps. 119. 89], unnd werdend die fyend des herren, so
bald sy uff erhöcht und in eeren sind, vergon und zuo nüt werden
wie der rouch [cf. Ps. 37. 20, 68. 3].
Ietz sy üch, lieben bruederen, ze wüssen, das etlich paffen etlichen

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gwaltigen underschiebend, wie wir ze Zürich all unser künst des
götlichen wortes vonn den Juden lernind. Das uns wenig bevilte,
was diser oder iener schatzte, wo es nitt dahin reichen wölte, das
mann das gotzwort damit hofft verhaßt machen, das doch vor allen
dingen unangeruert blyben sol.
Darumb red ich darzuo, das sölch red erdacht wirt und on alle
warheit geredt.
Ich hab ouch den Mosche, Juden zuo Wintertur (der von
etlichen fürgeben, daß er sich beruempt hab, wie er zuo uns kömme
und uns lere, und widerumb wir heimlich zuo im, den ich bekomen
durch mittel personen), der mir darüber schrifftlich geantwurt dise
wort, uß siner eygnen gschrifft ußgeschriben: "Darumb, lieber herr,
so laß ich üch wüssen von sölcher red, die man mir fürgehalten hat,
ouch üch daran verwissen, das mir sölich red nie für min mund ußgangen

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ist; ouch so wölt ich ein sölchen gern ansehen, der söllichs
von mir seit, er sy, wer er welle, so will ich im still stan, das ich
söllichs nitt geredt hab, und es wirt sich nit mit gheiner warheit
finden, so war gott im himel ist". Also redt der Jud. Das ist war:
Ich hab vor etwas zyten in bywesen me dann 10. gelerter und frommer
von Zürich und Wintertur mit im von etlichen verheissungen
imm alten testament red gehalten, aber alles wider iren irrtumb, da
sy allein an dem presthafft sind, daß sy den herren Jesum Christum
nit annemend. Er ist ouch zuo uns geen Zürich in unser hebraischen
letzgen zweimal komen ze losen; uns da nützid gelert,
sunder gehört, ob wir mit hebraischer gschrifft recht köndind umbgon,
und uns demnach zuoggeben, wir könnend recht mit umgan, und
gewünscht, das er sölcher gstalt sy verhandlen kond. Wie wol
zuo sölchen verretscheren, die ettlicher fürnemen unbekante in den
dingen mißbruchen, möchte geredt werden: Wüssendt ir nit, daß in
üwren eignen rechten di. 9. [Corpus iur. can. c. 6. Dist. IX.] bestimt
ist, das man zuo den Hebreieren louffen sölle, wo etwas unbekants
im alten testament gegne? Nun louffent doch ir zuo den Heiden,
und gilt Aristoteles wort me by üch denn gottes und sines suns
Jesu Christi; dann ir das wort Christi nach sinen worten messigend
und verstand. Doch ist mit inen als vil ze handlen als mit
den verstopten Juden; denn gotzwort gilt wenig by inen.
Darnach gebent sy üch für, wie der lieb, fromm bruoder Frantz
Kolb
, etwan predicant zuo Bern, ietz etlich trüw christlich

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predginen by uns vollendet, offenlich gepredget hab: Christus hab
für uns nit gelitten, sunder sant Jacob, der minder. Welchs wort
ghein creatur on zwyfel nie ghört hatt us sinem mundt, ich gschwyg,
das er es ietz by üns ienen gepredget hab. Was ist es aber, daß
man gmeinlich spricht: Es habend 's fürnem, gloubhafft lüt geredt?
Sprich du: ob sy es gehört haben? Wirst vernemen, das es inen ze
oren getragen ist, unnd sind verfuert. Beschicht innen als den
höchsten küngen und herren, die, so sy nit fridsam und grecht sin
wellend, noch andre by recht und fryd lassen belyben, allen iren
krieg und gantze rych etwan an einen verräter lassen muessend, der
doch inn als wol verratten kan und gdar als sin widerpart.
Für das dritt gebend sy von mir uß, ich predige offenlich, das
Jesus Christus nit der sun gottes sye, noch das er für unser sünd
den tod erlitten hab. Antwurt darüber: Wenn ich glych so toub
wär und von mir selbs kommen, daß ich sölichs redte, war wölte
ich mit? Wie vil hab ich geschrifften lassen ußgon, die mich all
wurden heissen liegen, in denen ich das fegfür, die bycht, die
bäptischen absolutz und andre ding vil allein damit gestürmpt
hab, das Christus, der sun gottes, unser trost sye; denn, sygind wir
got so vil angelegen, das er sinen eygnen sun für uns ggeben hab,
was wir denn erst nüwer bezalung, fürmünderen und pynen nachfragind?
Nun ist all unser arbeit, die uff dise zyt das euangelium
predigend, allein die, das man die sicherheit unsers heils finde in dem
tod des lebendigen suns gottes. Aber sölichs redend sy zuo eim teyl,
daß sy mich verlümdind, sam ich vom glouben und zuo den Juden
gevallen sye. Zum andren, daß sy mine wort, die ich, zuo erklären

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die wort Jesu Christi, geredt hab, verkert und deßhalb nit mir
allein, sunder ouch dem wort Christi nachteil geberind. Als ich
ietz von einet das euangelium Ioannis predgen, ist am nötigosten,
das man zuo verstand der worten unsers erlösers Jesu Christi erkenne,
das zwo naturen und dero beder eigenschafften in im sygind:
die götlich und mentschlich, doch by diser ußgenomen die anfechtung
ze sünden; und doch bede naturen nun ein Christus ist. Also
sehendt wir Christum nach der götlichen natur reden das wort sines
himelischen vatters, das ewig unüberwunden ist, die todten ufferkicken
etc; nach der menschlichen aber sehend wir in hunger,
turst, vorcht des todes erliden etc. Unnd wie ein einyg ysen, das
howt, so es gefüret wirt, ouch brent, allso sicht man in Christo
Jhesu die krefft unnd würckungen beder naturen: Nach der menschlichen
stirbt er, nach der götlichen ufferstat er. Und ist doch nun
ein einiger Christus, got und mensch, wie iens ein ysen howt und
brennt. Dis erkanttend aber die Juden nit; und wenn er von sinem
götlichen wesen und wie er ein sun gottes ist, redt, so verergretend
sy sich, sam er im selbs ze vil zuogeb; dann sy inn nun für ein
menschen hieltind, ja, das er von Josephen geborn wäre Luc. 4.
[Luc. 4. 22]. Und uff sölchen iren irtum gibt inen Christus offt antwurt,
sy ze underrichten. Jo. 5. [Joh. 5. 26] zeigt er an, sich von
ewigheit har glych läbendig sin mit got, sinem hymelischen vatter,
also: Wie der vatter das leben in im selbs hat, also hatt er ouch dem
sun ggeben, das er das leben in im selbs hab. Nun lebt der vatter
selbs, und lebt der sun wie der vatter in im selbs. Und ist aber der
sun uß dem vatter har, so muß ie sin, das sy nun ein läben habind.

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Und deshalb nun ein wäsen; denn das von im selbs lebt, mag nitt me
denn ein ding sin. Darumb er widrumb spricht Jo. 10. [Joh. 10. 30.]:
Ich und der vatter sind ein ding. Also sind sy ouch nun ein leben.
Hie wärind noch vil kuntschafften, sind aber ietz nit not. Herwydrumb
zeigt er sich selbs an nach der mentschlichen natur minder
sin, weder der vatter ist, als Jo. 14. [Joh. 14. 28]: Der vatter ist
grösser weder ich; als ouch Athanasius im symbolo spricht. Uff
die natur redt er widrumb Jo. 5. [Joh. 5. 19]: Ich mag von mir selbs
nüt tuon. Wie? Nun hat er doch das leben in imm selbs; ouch
spricht er glych darvor [Joh. 5. 17]: Min vatter würckt, unnd ouch ich
würck. Wie wirt denn diß verstanden: Ich mag von mir selbs nüt?
Ich, als ein luterer mensch, darfür ir mich haltendt, vermag von mir
selbs nüt. Sich, das redt Christus von der blossen menscheit,
die aber in im nit bloß was; dann die gottheit gegenwürticklich in
im ist. Noch stelt er die wort nach dem irrverstand der Juden
uff die blossen menscheit, sam er spräch: Wenn ich ein blosser
mensch were. Und bald darnach spricht er [Joh. 5. 31]: Wenn ich
kuntschafft von mir selbs gib, so ist min kuntschafft nitt war. Ist
aber uff die blossen menscheyt geredt; dann die warheit ist allein von
got; denn sy ist got selbs, nit daß Christus ein blosser mensch sie.
Und muoß die meinung der worten Christi sin: Wo ich nun als ein
mentsch redte, so wäre min red und kuntschafft nüt. Aber ich bin
die warheit, das ist: got selbs. Darumb ist min kuntschafft war, nit
deshalb, als ich ein mensch bin, sunder deshalb, daß ich got bin.
Darumb spricht er widrum Jo. 8. [Joh. 8. 14]: Wenn ich - verstand
hie durch "ich" den waren got - kuntschafft von mir selbs gib, so
ist min kuntschafft war. Sich, wo dise wort nit von beiden naturen
mit underscheid verstanden wurdind, wurdind sy richtig wider einander
sin. Darnach offnet er die beden naturen Jo. 12. [Joh. 12. 44]
gantz eigenlich: Welcher in mich vertruwt, der vertruwt nit in mich,
sunder in den, der mich gesendt hatt. Hie heißt "nit in mich" als
vil als: nit in mich als in einen luteren menschen, sunder in mich

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als in got; dann ich bin got. Darumb spricht er glych daruff Joh.
12. 45]: Welcher mich sicht, der sicht den, der mich gsendt hatt.
Witer bald darnach [Joh. 12. 47f.]: Welcher mine wort hören wirt,
und die nit annemen, so verurteil ich inn nit; die red, die ich gethon
hab, wirt inn am letsten urteil verdammen. Hie hörstu aber, daß
er nit als ein mensch urteilen wirt, sunder als der ware got. Wie er
am 5. capitel [Joh. 5. 27] geredt hat: Der vatter hat alles urteil dem
sun geben; also spricht er hie: Das wort oder red werde urteilen.
Warumb? Daß das wort got selbs ist; und welcher das nit annimpt,
der nimpt got nit an. Es ist ouch die warheit allein got, also das
Christus ouch sy siner eignen menscheit nit wil zuolegen, so verr sy
allein wär. Aber in im sindt zwo underscheiden aber ungeteilt naturen,
die nun ein Christus ist; das woltend die Juden nit verston
etc. Sich, das ist, das ich nach der kürtze vonn den beden
naturen Christi halt, und nit ich, sunder sin eigen wort redt das
hell, welchs doch richtig wider die Juden ist. Das habend mir die
verkerer dahin gezogen, als ob ich wider die gottheit Christi rede.
Doch schaffendt sy damitt so vil, als gott verhengt, und so lang
er wil.
Zum letsten schryend sy: Wir wellind ze Zürich die meß hinthuon.
Ist glycherwyß erdichtet. Wir sind wol in hoffnung, wir wellend
den gyt unnd gutzel, wuocher und kouffmanschafft underlaßen, und
dis helig sacrament allein bruchen nach dem ynsatz Christi: Das
ist die mes, erst ingesetzt, aber die mes Christi, nit die mes der
gitigen Bäpstleren.
Lieber leser, die zyt lydet hie nit me. Darumb bewar dich
wol vor den lügen; denn sy werdend nit zuo guotem erdichtet. Denn
das wort gottes wirt bliben, so alle sine fygendt wie die Egypter
versincken werdend [cf. 2. Mos. 14. 28]. Bewar dich got, unnd biß
sicher, das wir ze Zürich das gotzwort sölcher gestalt ansehen und
fürlegen wellend, das es zuo der eer gottes und besserung der conscientzen
allein reichen muoß.

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Von der jungfrowen Maria hab ich vormal mit eim bsundren
buechly min meinung anzeigt; by dero blyb ich styff. Laß demnach
ieden sagen, was er welle.
Ich will ouch hie etlich pfarrer und predicanten by gottes sun,
Jhesu Christo, unserem herren, ermant haben, das sy von irem
winckelkuchen lassind und von irem hetzen, daß sy den einvaltigen
gwaltigen zuoschleichend; und vermögind sy etwas wider die ard des
euangelii, als ich 's predgen mit vilen frommen gelerteren denn ich,
daß sy das anzeigind, oder aber ich wil die fäder wider sy offenlich
bruchen, und der welt ir unwüssenheit, damit sy geschücht werdind,
anzeygen, ungeacht, wie gelert der klein finger oder das baret gefarw
sye. Doch ist min pitt an sy, daß sy iren verstand gottes wort

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underwerffind, und an gott, daß er alle irrenden, ouch mich, wo ich
irr, harfürziehe. Amen.
Inimici hominis domestici eius [Mich. 7. 6].