Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte

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Der Labyrinth

(Frühjahr 1516)
Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 1 (Berlin: Schwetschke, 1905) (Corpus Reformatorum 88)


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[Der Labyrinth.]
Ob du verwundrest dise gstalt,
horch uff, gar schier wirt sy gezalt.
Labyrinthus ist si genant,
in Egypto zum erst erkant,
darnach ouch in Italia,
in Lemno und in Candia.
Gar süberlich (als du den grund
hie sichst) gebuwen uss dem fund
Dedals von Athen in Creta
(die ietz genennet Candia)
uss kost und heissen Minois,
darinn er schand Pasiphaës,
synr husfrowen, bedecken möcht,
die ir eer mit eim ochsen gschwecht,
verbracht ein wunderbarlich gburt,
vom houbt ein man bis uff den gurt,

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dannenhin gar ein starker ochs,
menschenfrässig und grusams bochs.
Den verschloß Minos inn irrgang,
spyßt inn allein mit menschen lang,
allermeist mit den von Athen.
Straffet also mit diser pen
sines suns Androgei todt,
den sy erschlagen im on not.
Als nun zuo küng Aegeum kam,
sinem vatter, und das vernam
Theseus, ein junger kuener held,
mit frommen tadten zuogezeldt
Herculi, sinem fründt (dann er
Scyronem tödt hatt, den mörder
Corynetan und ander mer,
ouch den maratonischen stier),
erbarmet inn die schwär der sach,
bedacht abzdilggen dise schmach
dero von Athen und fuogt sich
in Cretam ze stryten manlich.
Do inn Ariadne erblickt,
des küng Minois dochter, schickt
sy sich heimlich zuo im uß lieb;

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sprach: "Theseu, dich selbs nit betrueb;
ob du schon stryten zwungen wirst
mit dem wunder, gwüss nit verlürst.
Allein behalt den ingang wol,
laß dich ghein grusen machen toll.
Nimm diß fadenklung in din hand,
zettels mit dir, so wirt bekant
der ußgang dir (nachdem du gtödt
das vich), und nit erst in einödt
verderben müst." Theseus nam hin
den faden und den kolben sin,
ylt frävenlich zuo dem irrgang,
unvergessen deß fadens anhang.
Zeerst hebt die tür ein krachen an,
darnach die hül (muost wol verstan:
der Labyrinth was also gmacht,
das ein gwelb dem andren entsprach
mit widerhal, als me geschicht,
wenn anderswo der ton erbricht).
Das nun ein grusam gmümmel macht,
als het der ochs ein luoy verbracht.
Doch ließ sich Theseus schrecken nit,
gieng fur, gewont deß tons damit.
Den machtend imm widrum grusam
die öden wonungen, selczam
gemacht, verzogen ietz in leng,
ietz wider umbgebuckt und eng,
ietz hoch, das er des luffts empfand,
ietz gieng er uff der erd im sand;
türen vil und unbedacht ker,
abgeng, durchgeng und irrung mer.
Daby entgest ein iede wand
bild grusamer tieren allerhand.

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Hie sach er ein erschrocken gstalt
eins löwen, einöugg, die inn kalt
schier hett gmacht von farcht; doch sin hertz
riet besichtigen disen schertz,
und, inn allso betrachtend baß,
marckt, das löw metz de lana was.
Do ward er von stund wider kickt.
Gar bald ein ander bild erblickt,
das inn wolt duncken z' fürchten sin:
Ein adler bkrönt, welchs ougenschin
wyt usspreittend, mit offnem schlund,
mitt grimmen griffen, flugel und
den schwantz uffton. Doch hoffet er,
die kron bedute tugend mer
dann zorn, und gieng vertruwt für inn,
kam zuo eim hanen bas hinin,
der hat sin kamm kluog uffgericht,
bewaffnet, als förcht er im nicht
vor gheinem tier, groß oder klein,
und wölts als erfächten allein;
hat vil huender zuo im gelockt,
spyß zöigend, under den er hockt.
Das ließ Theseus nit krencken sich,
meint wol, das die und ander vich
habend nach dem zyt vergangen
sich, das sy läbend erlangen
nit hand gmögen zuo dem usgang,
drumm er für mit dem faden trang.
Nimm war, schier gstelt inn ein figur,
ein gfluckter löw, gar ungehür
zerspert. Zwyfelt, obs ein gryph wär,
Theseus, doch nahend bedacht er,
was flügel hab, zur flucht gericht,
nit bliben, wo man gegen sticht

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und schlecht mit stand. Nächt also imm,
erkent ein löwen sin on grimm,
doch vol vil arg untrüwer list,
darumm under die vogel gmischt,
das er werde röubig erkent,
flüchtig, nimmer unangerent.
Traw sich fürbas und sicht dort ston
ein kluogen ochsen wunderschon,
behenckt mit katzen vil, die inn
ietzlicht meint nach irem sinn
ze leiten, wo sy guot beduecht,
da sy uff inn gespringen möcht.
Die ein zoch hin, die ander har,
für, hindersich, die uppig schar,
das Theseus wol erkant, durch die
den ochsen bracht in dise mue.
Allein drumm, das sy geyl waren,
ließ sy sin, wolt furer faren.
So sicht er bald ein grusam bild,
das inn mit grossen schräcken bfilt,
ein bären, gar ein unzämbt tier,
richlich darumb es gfürcht wirt mer.
Doch meint ers nun ein bildnuß sin,
nachet damit und sicht imm in
sin nasen glegt ein isinn ring,
vor imm ein, der inn zücht und schwing.
Warff allso alle vorcht von imm,
meint, der vor imm stünd, macht inn gheim.
Demnach er fuor on schaden für.
Nun schier kumend durch ander tür
sicht er hunden ein guote maß.

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Verachtet Theseus, dann sy laß,
dört ouch nun erbildet waren.
Gar bald darnach hort er scharren
das wunder und lueyen grimmlich,
darumb er sich selbs starckt billich
vor forcht und redt sich also an
in sym hertzen: "Magst du bestan
dis wunder, so gebirstu heil
dir selb und eer ein großen teil;
ouch erlößst das volck zuo Athen
von disem schwären tyrannen.
Wolhin! dem frischen hilft das glück.
Wil es dann nit und zöigt sin tück,
ist es doch gnuog in großer tadt,
das einer vlyß gebruchet hat,
wann erlich niemans hinnen ruckt,
dann der in dapfrer tadt verzuckt".
Indem kam er vor zuo dem vich.
Das frolocket und erhebt sich,
springt frävenlich imm engegen,
meinend zum erst niderlegen
den helden, darnach frässen gar.
Aber Theseus facht uß bewar,
warf imm denn faden in sin schlund,
das es des minder ginen kund,
streit mannlich und beschirmet sich,
gab dem wunder so mengen streich,
bis er es allenthalb erlembt,
zum letztsten mit den tod gezämbt,
macht sich hinuß dem faden nach.
Also fint ouch zum inngsten rach,
was übermudtenklichen fart.
Got schenckt nüt, wiewol er wart.
Nun söllend ir vernämen hie,
das diser Labyrint die mue

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und arbeit bedüt diser welt,
aber Theseus, der kuene held,
den starken, frommen erenman,
der die maß allweg treffen kan,
und sich allein ums vatterland
verbrucht. Das vich bedütet schand,
sund und laster. Aber der fad
bedüt vernunft, die uns leert grad
by des rechten schnuor muoßen gan,
wo wir wellind mit eren bstan.
Ariadne, die tochter, bdüt
lon der tugend, des niemans grüwt.
Sächt ietz an aller menschen tadt,
wie sy handlend all ding on radt,
und gand in dem Labyrinth umm
on den faden, darumm sy kum
widrumm an das liecht mögend kon,
hand (als ich fürcht) inn fürgenon
ze wonen hie mit irem gsind
ewklich, so wir doch nun gest sind
hie, frömbd, ellend, arbeiter und
wandler, da ouch in kurtzer stund,
so wir wenend im besten sin,
sy nemend unser selen hin.
In üns ist gar ghein gottes lieb,
die gar vil übels überhueb,
uns reitzet, achten alle ding
als mist und kat, das wir gering
gewunnen möchtend got. So ist
die welt ietz voll untruwer list,
das wir Christi ghein bildnuß hand,
me den heiden glich, pfuch der schand!
ja böser; dann die mit anschlag
ir ding tuond, das sy nit behag
rüw und kumer. Dagegen wir,
uß hochfertiger köpfen irr,

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verfräfnend, strüttend alle sach,
drum sind wir all in ungemach.
Wer unzucht, todschleg schaffen kan,
den halt man für ein kuenen man.
Hat uns das Christus glert? Grösser
lieb hat gheiner ymmer, dann der
sin läben setzt für sine fründt.
Sich, wie wir umb ein kleinen lündt
unser läben gar verschätzend.
Drumm wir den nechsten ouch hetzend,
betruebend all naturlich recht
mit kriegen, zanggen, andrem gfächt,
das wir die helschen wueterin
mögend dencken abbrochen sin.
Sag an, waß hand wir Cristen mer
dann den namen? Der wärcken lär,
niemans ghein geduld, ghein lieb weist.
Warlich die fürsten allermeist,
die nütz hand glernt dann muotwillen;
so bald inn in kopf ein grillen
kumpt, so muoß es nur gewuetet sin.
Ist aber, das des fridens schin
uns got laßt bschinen gnädiklich,
werdend wir uss den menschen vich.
Doch, das ich nit in das für stäch,
dann sy gar zornig, wo sy gschmächt,
hat mich beduocht schimpflicher wis
guot sin ufzetuon disen kreiß,
da du me ernsts billich verstan
solt, dann ich hie erzellen kan.
Ich wird sagen von iedem tier,
wie sy im irrgang hin und her
beschriben sind, und sy bitten
an sich z' nemen ander sitten.