Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte

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Erstes Gutachten betreffend Zehnten

(Mai 1525)
Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 4 (Leipzig: Heinsius, 1927) (Corpus Reformatorum 91)


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[Erstes Gutachten betreffend Zehnten.]
[A. pag. 1.] Do der allmechtig gott die israelischen kinder us
Egypten fuort durch die hand Moses, hieltend sich offt iro vil so
unghorsamlich und ungeschickt, das Moses verzagt, sy in das globt
land ze bringen; als ouch beschach. Dann sy wurdend so offt umb
irer unghorsame willen von gott gestrafft und gschlagen, giengend ouch
so vil alters und kranckheit halb ab, das us dem gantzem [!] zúg nit
me denn 2 man in's verheissen land kamend, die vormal us Egypten
usgangen warend. Also wil uns ouch beduncken, lieben, frommen,
biderben lút, uns lichtlich beschehen mög, wo nit der allmechtig gott
gnad gibt, das wir die gevaaren, damit uns der tüfel ze hinderen
understat, clarlich erkennend und verhuetend. Ir wüssend, in was
finsternussen und unwüssenheit des heils man uns gefuert hat vil hundert
jar har, mit denen die genanten geistlichen nit allein unserem
lyb und guot ze überlägen gewesen sind, sunder ouch die selen schädlichen
verfuert habend. So nun der allmechtig gott mit uftuon und
erscheinen sines worts uns núts minder, weder yene us ęgypten,

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us den bäpstischen finsternussen zum mereren teil gefuert, empfindend
wir, das etlich sölche erlösung und fryheit glycherwys understond
mit unghorsame ze missbruchen, als ouch yene tatend. Nun hatt aber
gott ir taten lassen anschryben, das wir damit gewarnet wurdind, wie
der helig Paulus [cf. Act. 13. 13-43] wysst, damit wir uns wüsstind
ze hueten. Wo wir aber das nit tuond, so werdend wir denn billich
wirsch geschlagen weder sy, so wir unsers herren gottes willen wüssend
und inn nit tuond.
Es ist ouch demnach unlougenbar, das ouch in den weltlichen
regimenten nit weniger gebrästen by vilen gewesen sind dann in dem
bapstuom. Hie mögend wir uns mit gott billich, als wir hoffend,
usnemen; dann wir tyrannisch und unfrüntlich nieman mit unserem
regiment beladen habend. So wir aber etliche ding bishar nach gemeinem
bruch der herren gegen úch gebrucht, habend wir doch sölchs
nit uss eigner bewegnus oder nüwem ufsatz uf úch gelegt, sunder
es ist úch allen ze wüssen, das wir úch redlich, erlich, ufrecht und
elichen erkoufft und bezalt habend; und, nachdem ir uns ynhendig
und für eigen zuogestellt sind, habend wir úch das joch der herschafft
gar vil geringeret, nachdem und ir vor beherschafftet warend.
Ietz aber so embörend ir úch etlichen weg gegen uns, dess wir uns
doch gheinen weg versehen hettind, vorus, so wir tag und nacht nit
ruow habend für ze betrachten, wie ir und wir christenlich und
früntlich in frid und ruow miteinandren leben möchtind, als ir selb nit
lougnen könnend. Dann ir wüssend, was grosser muey, arbeit, gevar
und ufsatzes wir ietz ein lange zyt har tragend, das, so vil gott gibt,

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das helig euangelium under úch nach rechter ard gepflantzt werde.
Hierinn habend wir aller fürsten und herren, aller nachpuren, fründen,
verpündten und schlechtlich der gantzen welt unwillen uns nit
lassen wegren, und sölche mandat, das euangelium ze hanthaben,
lassen usgon, das demnach vil grösser geachte; denn wir mit verbessrung
ouch sölchen weg gangen sind. Got sye er und lob! Wir
habend ouch in sölchem pflantzen ersehen, das nit allein die pfaffen
schädlich sind, die dem euangelio gantz und gar widerstond, sunder
ouch, die es so unbescheidenlich fuerend und lerend, das sy nun
zuo unradt und ufruoren, nit zuo frommem, christenlichem leben
bewegend, als die on zwyfel tuond, die noch nútz anders denn unghorsame
gepflantzet habend, nit gottes liebe und des nechsten; und
die bösen laster, hochmuot, frässery, trunckenheit, unkunscheit, unmas
in kleidung und zeren, gotzlestren und deroglychen nit usgerútet;
dann es nit fälen kan: das werck schlecht dem meister nach.
Dieselben stond offenlich dar und gebend úch für, ir sygind der
weltlichen obergheit nútz schuldig, ouch weder zins noch zehenden;
da sy für das erst lichtlich mögend wüssen, so verr sy in gottes
wort bericht sind, das gott an so vil enden heisst dem [A. pag. 2]
ordenlichen gwalt und obergheit ghorsam sin. Nit das wir in herschen
so grossen wollust habind; sunder sidmal úch und uns zuo mengen
zyten guot und erschüsslich gewesen ist, das ir gheinen andren herren
gehebt hand weder uns, und, ob got wil, fürohin wyter guot wirt

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sin, so könnend wir úch übel mit unwerd hinwerffen, die wir so
tür bezalt habend: söllend wir úch denn andren herren verkouffen?
Wurde úch ser nachteilig, und wüsstind wir sölchs gegen gott nit ze
verantwurtenn; dann wir uns selbs wol wüssend sind, das wir uns
gegen úch gehalten habend als vätter und nit als herren, úch aber
geachtet als brueder und nit als knecht. Darumb wir one beschwerd
unser conscientzen und unser statt úch nit könnend so frävenlich
hinwerffen, das weder úch noch uns wol nimmerme erschiessen
möcht. So uns aber gott ye zuo üwren obren gemacht hatt, muessend
wir ye sehen, das wir das recht under úch ufnend, und dem unrechten,
unradt und unfrid vorsygind. So muessend ouch ir harwidrumb
ye sehen, das ir ghorsam sygind und unser statt und stand
mit lyb und guot helffind erhalten. Dann wo ghein obergheit ist, da ist
nútz denn ein uffruor. Wo nit ghorsame ist, da ist nútz anders
weder ein mördery. Nun habend ir sölch artickel fürtragen, das, wo
wir die all blyben liessind, ir nit allein weder unsere undertanen noch
pflichtigen wurdind sin, sunder gegen uns fryer sin denn alle frömbden,
und uns minder tuon, weder wir selbs tuon muessend, unangesehen das,
wo ir von der statt Zürich (da gott vor sye!) úch also scheiden
söltind, das úch grösserer schad nit gegnen möcht. Aber gott
wysst uns, das wir umb üwer etlicher torheit und etlicher eigennützigen
ufruerigen willen die frommen gantzen gemeind nit verlassind,
sunder für und für als die vätter gegen úch haltind. Dann wir wol
wüssend, das wir die obergheit mit gott habend, ouch die lybeigenschafft
mit gott wol haben möchtind, wiewol wir uns darinn, wie harnach
kumen wirt, gebürlich halten werdend; denn Abraham, Isaac,
Jacob habend ouch eigenlút gehebt, und imm nüwen testament

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lert unser heiland Christus Jesus in der person des keisers, das
man der obergheit tuon sol, das man iro schuldig ist [cf. Matth. 22. 21,
Marc. 12. 17]. Paulus [cf. Röm. 13. 1-7], Petrus [1. Petr. 2. 13-18]
heissend ouch ghorsam sin der obergheit und die eigenlút iren herren.
Onesimum schickt Paulus dem Philemon widrumb heim [cf. Philem.
1. 8-20], gehorsam ze sin wie vormals. Wiewol wir hiemit nit
ruemend die unbillichen beschwerden, die etlich herren uff ire eignen
lút legend.
Der zinsen halb lerend die ufruerigen unrecht, wenn sy sprechend,
man sölle sy nit geben; dann unser red sol sin, das ja ja sye und
nein nein [cf. Matth. 5. 37]. So nun menklich sich mit briefen, siglen,
pfanden und andren gwarsaminen zins ze geben us eigner bewegnus
verpflicht hat, das ist "ja" geredt; so sol man ouch dieselben geben,
und den ynnemer der zinsen lassen sin rechnung mit gott stellen. Nit
das wir hiemit einigen weg weren wellind, das man mit dem götlichen
wort wider den zinskouff nit predgen sölle. Aber das einer
dem andren nit geben sölle, darumb er sich verpflicht hatt, und ob
es imm glych schwer ist, das mag man mit gott nit leren. Noch
habend wir ouch in den zinsen, zum nechsten wir zue gottes wort
habend mögen hinzuokumen, doch klag und zerrüttung ze verhueten, gehandlet,
wie ouch harnach kumen wirt.
Die zehenden sind erstlich guoter meinung yngesetzt, wiewol sy
in einen bärlichen missbruch komen sind. Dorumb sol man den
missbruch abstellen und widrumb recht verwenden; dann es beschicht
zuo unseren zyten niemans me gwalt oder unrecht (so verr man den
zehenden zimmlicher mas ynzücht), das er den zehenden gibt, us der
ursach, das alle gueter, die zehenden gebend, mit zehendens pflicht an
einen yeden komen sind. Denn ein yetlich guot, das den zehenden
geben muos, wirt so vil ringer erkoufft, so vil der zehenden wirt angeschlagen;
und harwidrumb, welches zehendfry ist, muoss vil türer
erkoufft werden, weder so es den zehenden geben [A. pag. 3] muesste.
Desshalb die, so sich us eigner bewegnus des zehenden widrend,

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wider alle billicheit tuond; denn wo der zehend sölte abgestellt werden,
so muesste ye der ietzig besitzer synem kouffman so vil nachziehen,
so vil er imm minder umb das guot um des zehenden willen ggeben
hatt. Aber das man die zehenden recht verwende an die brúch und
notturften, umb dero willen sy erstlich angesehen und verwilligott
sind, dahin sind wir träffenlich geneigt, doch mit sölchem fürnemen,
das die zehenden zuo ufenthalt der oberhand und der gemeind verwendt
werd [!], sust sind etlich so sorglos, das, wenn man inen hut
die zehenden nachliess, nämind sy morn widrumb so vil uff ire gueter.
So aber dero so vil sind, die ussert unserem gebiet wonhafft, und aber
under uns zehenden habend, ligend uns dieselben all weg imm weg,
das wir in richtigenn, guoten radtschlegen nit mögend fürvaren, als
wir gern wöltind; dann uns ye nit gebúren wil yeman von dem sinen
ze tringen, ob wir glych so mächtig wärind; denn gott bewilliget
nit gwalt one recht. Noch so wellend wir mit den zehenden, so vil
uns gebürlich und möglich ist, für und für handlen, derglychen ouch
in andren fürgebrachten articklen, wie hernach volgen wirt.
Hierumb, ersamen, getrüwen, lieben, biderben lút, so ir unsere
herren sehend in gewonter trüw und liebe für und für gegen úch
handlen und walten, so lassend úch nit etwas hargeloffner frömbdlingen,
die damit underschlouff by üch suochend, noch etlich eygennützig
oder verdorben lút wider sy hetzen und unruewigen, das christenem
volck gar nit zimpt. Und gedenckend, was anstossens ir
dem euangelio geben wurdind, wenn ir glycherwys ufruerig sin wurdind
als die, denen das götlich wort verwerrt wirt; dann mencklich

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sprechen wurd, es gulte glych vil, ob man das euangelium vergunnte
ze predgen oder nit; denn úch wäre es by den ersten verkündt;
noch wärind ir nútz minder ufruerig denn ouch andre. Darus man
wol sähe, das hiemit nútz denn unghorsame und eigner nutz gesuocht
werd. Gedenckend ouch daby, das, so ir gott mit fräven erzürnen
wurdind, er úch straffen und mit ruchem zorn demuetigen und
nidren wurd. Dann ir wol wüssen mögend, das ir für andre herschafften
in eyner Eydgnoschafft von unseren herren all weg bedacht
und unverachtet gewesen sind. Wo aber sölchs alles nit
helffen, wurde uns gott ouch zuo unfrüntlicheren fürnemen wysen,
weder wir bishar gebrucht habend; das uns doch ser leyd wär unser
beder teilen halb. Es ist úch ouch nit klein ze betrachten, das unradt
und unghorsame bald sind angehebt; nemend aber schwäre end,
wo sy glych glücklich vallend. So vil kost es muey und arbeit, ein
nüw regiment anzerichten; und so es glych angericht ist, so habend
offt die obren vil me arbeit mit recht richten und raten, weder die
undertonen mit gehorsam sin. Dess wir on zwyfel für andre herren,
regiment, stett oder communen ein war byspil sind; dann wir vil me
sorg, kosten und angst habend ein zyt har muessen ertragen weder alle
unseren biderben lút, allein darumb, das wir des heligen gottesworts
nit widrumb entroubt, ir nit frävenlich umb üwer sün gebracht,
sunder gottes eer gefürdret, und unser fromm volck zesamengehalten
wurd uff alle väl zuo schimpf und ernst; darinn wir einen unsaglichen
kosten erlidten habend, doch zuo gemeinem nutz und guoten üwer und
unser. Denn ein yder, der gotzvorcht und vernunfft hatt, mag wol
erkennen, wie guot und dienstlich dem gantzen land sye, das unser

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statt ufrecht blybe, daryn ir all in den letsten nöten (gott well die
lang abwenden!) trostliche zuoflucht mögend haben; und harwidrumb,
wie ein unordenlich, trostlos leben der gantzen landschafft gegnen
wurd, so verr wir yenen söltind wider billichs [A. pag. 4] getrengt
werden, wiewol wir in der statt all weg ee zuo guoten rachtungen
komen möchtind weder ir uff dem land. Darumb ouch billich ist,
das ir uns sölcher sorgen und gevaren, kosten und arbeit helffind
tragen.
Nun habend wir üwer artickel ernstlich in vil weg ermessen,
und, wo uns möglich gewesen ist, früntlich engegen gangen, und, wo
dasselb nit beschehen ist, da habend ir eintweders nit begert, das
úch guot wär, oder aber wir ermessen, das dasselb anbringen wider
gott wurde sin, oder aber allein wenig besundren lüten nutzlich, die
sich aber offt túr dartuond und lut schrygend umb gemeins nutzes
willen, und so man 's hindrem liecht ersicht, kräyend sy us
eignem nutz.
Es sind ouch unser herren gentzlich der hoffnung, ir werdind,
nachdem und ir bescheid üwerer anbringen gehört habind, vast wol
ze friden und ruowen sin, und mit aller trüw und ghorsame gegen inen
úch stellen, ouch gheine ufruerigen wider sy nit entrichten lassen,
noch zuo andren inen widerwertigen keren. Dann, wo zimmlich und
gebürlich gwesen, ist man úch engegen gangen sölcher mas, das ein
yeder frommer wol erwegen mag, das sy nit nutz oder er der menschen,
sunder gott, das recht und friden angesehen habend.
Gott, der uns alle geschaffen hatt und täglich nert und verhuet,
welle uns ze beden syten verstand und gmuet geben, das wir nútz
wider synen willen fürnemind oder tuegind! Amen!

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Ietz volgend die antwurten über üwer artickel.
Schöne pferd, wyte feld und der gmein man
sind starcke ding, der sy recht bruchen kan.
Lasst man sy inen selbs gar und gantz,
liegend sy wuest on frucht und pflantz.