Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte

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Die Marburger Artikel

3. Oktober 1529
Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 6.2 (Zürich: Berichthaus, 1968) (Corpus Reformatorum 93.2)


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[Die Marburger Artikel]
Diser hernach geschribnen articklen habend sich die hierunden geschriben
zuo Marpurg verglichen tertia Octobris, anno 1529.
Erstlich, das wir bedersyts eintraechtigklich gloubend unnd haltend,
das allein ein einiger, rechter, natürlicher gott sye, schoepffer aller creaturen,
und derselbig gott einig im waesen und natur, und dryfaltig in
den personen, namlich vatter, sun unnd heyliger geyst, etc. Allermassen
wie im concilio Niceno beschlossen unnd in symbolo Niceno gesungen
und gelaesen wirt by gantzer christlicher kilchen in der welt.
Zum andern gloubend wir, das nit der vatter, noch heyliger geist,
sonder der sun gottes vatters rechter natürlicher gott sye mensch wordenn
durch würckung deß heyligen geistes, on zuothuon mennlichs samens,
geboren von der reynen junckfrowen Maria lyplich, volkommenlich
mit lyb und seel wie ein ander mensch, on alle sünd, etc.
Zum dritten, das derselbig gottes unnd Maria sun unzertrente per
son Jesus Christus sye für uns gecrütziget, gestorben unnd begraben,
ufferstanden vonn todten, ufgefaren gen himmel, sitzend zur rechten
gottes, herr über alle creaturen, zuokünfftig zuo richten die laebendigen
und todten, etc.
Zum vierdten gloubend wir, das die erbsünd sye uns von Adam
angeboren und ufgeerbet und sye ein soeliche sünd, das sy alle menschen
verdamnet, unnd wo Jesus Christus uns nit zuo hilff kommen were
mit sinem tod und laeben, so hettend wir ewig daran sterben und zuo
gottes rych und saeligkeyt nit kommen muessen.
Zum fünfften gloubend wir, das wir vonn soelicher sünd und allen
andern sünden sampt dem ewigen tod erloeßt werdend, so wir gloubend
an soelichen gottes sun Jesum Christum, für uns gestorben etc., und
ussert soelichem gloubenn durch keinerley werck, stand oder orden, etc.,
loß werdenn moegend vonn ewiger sünd, etc.
Zum sechßten, das soelicher gloub sye ein gabe gottes, den wir mit
keinen vorgeenden wercken oder verdienst erwerben, noch uß eigner

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krafft machen koennend, sonder der heylig geyst gibt unnd schafft, wo
er wil, denselbigen in unsere hertzen, wenn wir das evangelion oder
wort Christi hoerend.
Zum sibenden, das soelicher gloube sye unser gerechtigkeyt vor gott,
als umb welches willenn unns gott gerecht, fromme unnd heylig rechnet
unnd helt on alle werck unnd verdienst, unnd dadurch vonn sündenn,
tod, helle hilfft, zuo genaden nympt unnd saelig machet umb synes suns
willen, inn welchen wir also gloubend unnd dadurch synes suns gerechtigkeyt,
laebens unnd aller gueter geniessend und teylhafftig werdend.
Darumb alle klosterlaeben unnd gelübde, als zur gerechtigkeit nützlich,
gantz verdampt sind.
Von dem usserlichen wort.
Zum achten, das der heylig geyst, ordenlich zuo reden, niemants soelichen
gloubenn oder syne gabe on vorgend predigt oder müntlich wort
oder evangelion Christi, sonder durch unnd mit soelichem müntlichem
wort würckt er und schafft er den glouben, wo und in welchen er wil.
Rom. X [V. 14ff.].
Von dem touffe.
Zum nündten, das der heylig touffe sye ein sacrament, das zuo soelichem
glouben von gott yngesetzt, und diewyl gottes gebott: Ite, baptisate
[Matth. 28, 19], und gottes verheyssung drinnen ist: qui crediderit
[Mark. 16, 16], so ists nit allein ein ledig zeichen oder losung under
den christen, sonder ein zeichen und werck gottes, darinn unser gloube
gefordert, durch welchen wir zum laeben widergeborenn werdend.
Von guoten wercken.
Zum zehenden, das soelicher glouben durch würckung des heiligen
geistes hernach, so wir gerecht und heilig dadurch gerechnet und worden
sind, guote werck durch uns uebet, nemlich die liebe gegen den nechsten,
bitten zuo gott und lyden allerley vervolgung, etc.
Von der bicht.
Zum eylfften, das die bicht oder radtsuochung by synem pfarrer oder
nechsten wol ungezwungen und fry sin sol, aber doch vast nutzlich den
betruebten, angefochten oder mit sünden beladen oder in irthumb gefallen
gewüssen allermeest umb der absolution oder trostung willen deß
evangelii, welches die recht absolution ist.
Von der oberkeit.
Zum zwoelfften, das alle oberkeyt und weltliche gesetzte, gericht oder
ordnung, wo sy sind, ein rechter guoter stand sind und nit verbotten,
wie etliche baepstische und widertoeuffer lerend und haltend, sonder das

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ein christ so darinn berueffen oder geboren, wol kan durch den glouben
Christi saelig werden, etc., glych wie vatter und muoter standt, herr
und frowen standt, etc.
Zum dryzehenden, das man heißt tradition, menschlich ordnung in
geistlichen oder kilchen geschaefften, wo sy nit wider offentlich gottes
wort straebent, mag man fry halten oder lassen, darnach die lüte sind,
mit denen wir umbgond, in all waege unnoettig ergernuß zuo verhuetten
und durch die liebe den schwachen und gemeinem fride zuo dienst, etc.,
das ouch die leere, so pfaffen ee verbüt, tüfels leer sye.
Zum viertzehenden, das der kindertouffe recht sye und sy dadurch
zuo gottes gnaden und in die christenheyt genommen werdend.
Vom sacrament des lybs und bluots Christi.
Zum fünfftzehenden gloubend und haltend wir alle vonn dem nachtmal
unsers lieben herren Jesu Christi, das man bede gestalt nach
ynsatzung Christi bruchen sol, das ouch die maesse nit ein werck ist,
damit einer dem andern, tod oder laebendig, gnad erlangt, das ouch das
sacrament deß altars sye ein sacrament deß waren lybs und bluots Jesu
Christi, unnd die geystliche niessung deßselbigen lybs unnd bluots
einem yeden christen fürnemlich vonn noetten, deßglychen der bruch
deß sacraments, wie das wort, vonn gott dem allmaechtigen gegeben unnd
geordnet sye, damit die schwachen gewüssen zuo glouben zuo bewegen
durch den heyligen geyst. Und wiewol aber wir uns, ob der war lyb
unnd bluot Christi lyplich im brot unnd wyn sye, diser zyt nit verglichen
habend, so sol doch ein teyl gegen dem andern christliche lieb,
so verr yedes gewüssen ymmer lyden kan, erzeigen, vnnd bede teyl
gott den allmaechtigen flyssig bitten, das er unns durch synen geyst
den rechten verstand bestaetigen woelle. Amen.
Ioannes Oecolampadius ss
Huldrychus Zuinglius
Martinus Bucerus
Caspar Hedio
Martinus Luther
Iustus Ionas
Philippus Melanchthon
Andreas Osiander
Stephanus Agricola
Ioannes Brentius F.B.